Blick von Schladminger Bergen auf ein weites Land der Reformen

Bundesstaatsumbau. In den Mehrgleisigkeiten und im Kompetenzwirrwarr der österreichischen Art des Föderalismus liegen die wahren Milliardengräber.

Erwin Pröll im Loden, Michael Häupl im grellgelben Anorak und Franz Voves mit allzu jugendlicher Locke: Allein dieses Foto von einem Landeshauptmanntreffen am Rande eines Skirennens in Schladming mag manchem als gefährliche politische Drohung vorkommen.

Der Bericht in der Zeitung dazu war in einem kryptisch-konspirativen Ton gehalten: Unter einem „besonderen Stern“ sei das Treffen gestanden. Ein „zartes Pflänzchen“ wachse da. „Über einen schmalen Steg“ holten sich Kanzler und Vizekanzler „Verbündete ins Boot“. Vom „Konklave“ einer Zehnerrunde, bis weißer Rauch aufsteigt“ war die Rede, von „beharrenden Kräften“, die man „in die Knie zwingen“ müsse. Die „Landesfürsten“ hätten gar „einen Bund besiegelt“. Aus all dem konnte man erahnen, dass es irgendwie um Reformen des Staatswesens ging.

Dass es bisher vor allem die Länder waren, die jeder ernsthaften Reform des Staates und seiner Strukturen im Wege standen, ist bekannt. Als Namen dafür stehen Pröll und Häupl. Der eine führt das am höchsten verschuldete Bundesland, der andere hat bisher jede Reform etwa beim Beamtenpensionsrecht, die vom Bund vorgegeben wurde, verweigert.

Begräbnis erster Klasse

Beide geben das Geld, das sie selbst nicht einheben, mit vollen Händen aus und versorgen damit die jeweils eigene Klientel. Ohne Reform des Föderalismus kann es keinen echten Fortschritt und vor allem nicht die großen Einsparungen geben, die man zur Sanierung des Budgets braucht. Denn in den Mehrgleisigkeiten und im Kompetenzwirrwarr der österreichischen Variante des Föderalismus liegen die wahren Milliardengräber. Die Geschichte gescheiterter Reformbemühungen ist lang. Sie endet vorläufig mit dem Verfassungskonvent, der 2003 zusammengetreten ist, um eine „grundlegende Staats- und Verwaltungsreform“ zu erarbeiten, die eine „zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben“ ermöglichen sollte.

Nach 19 Monaten wurde der Bericht des Konvents, der faktisch alle Elemente für eine neue Verfassung enthielt, vom Nationalrat „einstimmig zur Kenntnis genommen“. Er bekam damit ein Begräbnis erster Klasse. Gescheitert ist der Konvent am Widerstand der Länder. Dass es so kommen würde, wusste man dabei schon, bevor der Konvent begonnen hatte.

Die Bilanz von 23 Jahren „Verwaltungsreform“ ist bescheiden: eine kleine Wahlrechtsreform 2007 und eine kleine Verfassungsbereinigung. Ein drittes Projekt, das aber zunächst keine Einsparungen bringt, ist erst kürzlich beschlossen worden: die Verwaltungsgerichte erster Instanz, zwei im Bund und jeweils eines pro Bundesland. Das ist auf den ersten Blick nicht sehr bedeutend, bekommt aber seine wahre Dimension, wenn man weiß, dass durch die neuen Gerichte insgesamt 132 Behörden in Bund und Ländern abgeschafft werden.

Auch wenn man die föderalistische Struktur des Staates aus guten Gründen nicht antasten will, bleibt genug zu tun. Die österreichischen Bundesländer sind zwar von großer Tradition, dass aber Länder mit weniger Einwohnern als eine mittlere Großstadt eine eigene Gesetzgebung haben, ist nicht einzusehen.

Bayern mit elf Millionen Einwohnern kommt mit einer einzigen gesetzgebenden Körperschaft aus, Österreich mit nur achteinhalb Millionen leistet sich deren zehn. Durch die Mitgliedschaft bei der EU ist zu den bis dahin vier Verwaltungsebenen (Gemeinden, Bezirke, Länder, Bund) eine fünfte gekommen – nebst einer elften Gesetzgebungsinstanz.

Eine Augenauswischerei

Es vergeht kaum eine Woche, in der sich nicht ein Minister darüber beklagt, dass er es in seinem Aufgabenbereich mit neun verschiedenen Regelungen von Bundesländern zu tun hat. Die Beispiele sind bekannt: Neun Bauordnungen, neun Jagdgesetze, neun Regelungen für die Wildbachverbauung usw. Das alles braucht Beamte, die Landesgesetze vollziehen und Bundesgesetze und EU-Regelungen auf ihr Land „herunterbrechen“. Dazu noch Bundesbeamte, die in den Ländern tätig werden.

Ein Unternehmer, der bei Graz ein großes Anwesen besitzt, traf einmal auf seinem Grund einen fremden Mann, der sich als Ministerialbeamter zu erkennen gab. Er war eigens aus Wien angereist, um irgendeine technische Anlage auf dem Grundstück zu kontrollieren.

Mehr als das vage Bekenntnis der Reformbereitschaft war in Schladming von den drei Landeshauptleuten nicht zu hören. Die Verkleinerung der Landtage und die Entsendung von Landtagsabgeordneten in den Bundesrat, wie sie Pröll vorgeschlagen hat, ist eine Augenauswischerei, mit der den Leuten vorgegaukelt werden soll, dass die „Politik bei sich selbst zu sparen beginnt“. Den Nationalrat wieder auf 165 Abgeordnete zu reduzieren würde auch nicht mehr als einen optischen Effekt bringen.

Der entscheidende Ansatz für eine Reform des Bundesstaates ist die Entflechtung von Gesetzgebung und Vollziehung zwischen Bund und Ländern. Zunächst wäre die mittelbare Bundesverwaltung in eine autonome Landesverwaltung umzuwandeln. Ziel müsste aber sein, die Gesetzgebung allein beim Bund zu konzentrieren und dafür die Vollziehung weitgehend den Ländern zu übertragen. Sogar Voves hat vor Kurzem angedeutet, dass es in zehn Jahren die Landtage in dieser Form nicht mehr geben könnte.

Der überregulierte Schulbereich

Im heillos überregulierten und durchpolitisierten Schulbereich bietet sich eine Kompetenzregelung nach dem Muster an: Gesetzgebung und Vollziehung über Lehrinhalte und Personal beim Bund, die gesamte Schulorganisation mit Standorten, Erhaltung, Klassenschülerhöchstzahlen usw. bei den Ländern. Damit wäre auch die Trennung in Bundesschulen (AHS, BHS) und Landesschulen (VS, HS, NMS ) obsolet.

Die wirklich großen Einsparungen aber ließen sich im Gesundheitsbereich gewinnen. Dem Hauptverband der Sozialversicherungen ist es gelungen, 1,8 Mrd. Euro einzusparen. Das lässt ahnen, welches Potenzial hier schlummert. Auch die Zusammenlegung von 19 Krankenversicherungsanstalten würde große Summen bringen, ohne dass die Versorgung beeinträchtigt würde.

Eine Verwaltungsebene könnte jedenfalls eingespart werden. Es bieten sich die Bezirkshauptmannschaften an. Ihre Kompetenzen kann man zum kleinsten Teil den Ländern (Gewerbesachen und technische Sachverständigendienste), überwiegend aber den Gemeinden (Jugendwohlfahrt, Soziales) zuordnen.

Gegen die latente Missstimmung

Die Schaffung effizienter mittelgroßer Gemeinden wäre nicht nur ein verwaltungstechnischer, sondern auch ein demokratiepolitischer Erfolg. Allerdings muss man die Gemeindereform geschickter angehen und besser vorbereiten als in der Steiermark.

Der Blick von den Bergeshöhen bei Schladming geht also über ein weites Land voller Möglichkeiten und politischer Chancen. Denn die Erfahrung, dass Reformen möglich sind, könnte dem Land eine neue Dynamik bringen und vielleicht sogar die latente Missstimmung beenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2012)

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