Über Joachim Gauck, Teil 1

Der deutsche Bundespräsident hat gesagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. War das klug?

Viel ist von dem deutschen Ex-Präsidenten Wulff nach seinem schmählichen Abgang nicht geblieben. Am ehesten noch seine Rede zum 20.Jahrestag der Deutschen Einheit, in der er gesagt hatte, der Islam gehöre zu Deutschland. Sein Nachfolger, Joachim Gauck, hat dem in einem „Zeit“-Interview widersprochen: Die Muslime, die in Deutschland leben, mögen dazugehören, aber der Islam? „Da kann ich diejenigen verstehen, die fragen: Wo hat denn der Islam dieses Europa geprägt, hat er die Aufklärung erlebt, gar eine Reformation?“

Nach dieser Argumentation würde indes auch der Katholizismus nicht zu Deutschland gehören. Katholisch (geblieben) zu sein bedeutet nicht zuletzt, zunächst der Reformation und dann der Aufklärung getrotzt zu haben. Gauck spricht hier allzu deutlich pro domo, aus der Perspektive des protestantischen Pfarrers.

Dass nicht der Islam, sondern das Christentum Politik und Kultur des Abendlandes geprägt hat, weiß jeder, der einmal in ein Geschichtsbuch geblickt hat. Das Bündnis zwischen Thron und Altar hat hier ein Jahrtausend lang Herrschaft legitimiert. Hat Ex-Präsident Wulff das nicht bedacht? Was hat er in seiner Rede eigentlich genau gesagt? Die zentrale Stelle lautet: „Zuallererst brauchen wir eine klare Haltung: ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen(!) auch zu Deutschland.“ Nicht seit jeher also gehöre der Islam zu Deutschland, sondern inzwischen. Dem Ex-Präsidenten ging es nicht um die Vergangenheit, sondern um die gegenwärtige Integrationsdebatte.

Wulffs Rede war eine Replik auf Sarrazins rassistische These, die Migranten seien schuld an Deutschlands Degeneration. Doch für diese Antwort hat Gauck, der sich schon einmal anerkennend über Sarrazin geäußert hatte, nichts übrig. Die Botschaft hinter Gaucks Spitzfindigkeit ist eindeutig: Liebe Muslime, jetzt, da ihr einmal da seid, mögt ihr dazugehören, euer Glaube tut es nicht! Der Integration, die nicht nur ein Gebot der Nächstenliebe ist, sondern vor allem eines der politischen Vernunft, hat er damit keinen Dienst erwiesen.

Wer von den Migranten – zu Recht – verlangt, dass sie die liberalen Grundwerte der deutschen Verfassung achten müssen, der täte gut daran, ihnen zu signalisieren: Solange ihr das respektiert, gehört eure Religion genauso zu diesem weltoffenen Land wie jede andere auch. Gerade Pfarrer Gauck müsste wissen, dass die Religiosität eines Menschen nicht etwas ist, das man so leichthin von seiner Identität trennen kann.

dietmar.krug@diepresse.com diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2012)

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