Von Tunke, Soße und Pampe

Oder: Wie meine Landsleute es immer wieder schaffen, Speisen in einem Meer aus irgendwas zu ertränken.

Jäger oder Zigeuner? Diese inzwischen politisch anrüchige Frage stellte die Frau in der Frittenbude meines Dorfes immer, wenn jemand ein Schnitzel bestellte. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Da wird der Entwurf zu einem Wiener Schnitzel samt Panier in die Fritteuse geschmissen, um am Ende frisch aufgedunsen in einer wahlweise braunen oder roten Tunke ertränkt zu werden. Und als Beilage gab's mit demselben Fett vollgesogene Kartoffelstäbchen. Wenn mein bester Freund sich damals ein „Zigeuner und Riesenpommes rot-weiß“ (mit Ketchup und Mayonnaise) bestellte, verordnete er sich ein Mahl, das in anderen Ländern allenfalls als Initiationsritus durchgehen würde. Und eine Menge an Kalorien, die für eine Fußballmannschaft gereicht hätte.

„Alles, wat Matsch ist“, hat einmal ein prominenter Rheinländer geantwortet, als er nach seiner Leibspeise gefragt wurde. Mein Favorit aus Kindertagen war „Himmel und Erde“. Vom Himmel kamen die Äpfel, die, zu einem Kompott verkocht, die eine Hälfte des Tellers bedeckten; die Erde spendete die Kartoffeln, die frisch zerstampft die andere Hälfte füllten. Diese Trennung der Sphären war wichtig, denn ich wollte mir nicht den Genuss entgehen lassen, sie eigenhändig zu einem köstlichen Ganzen zu verrühren.

Diese Vorliebe meiner Landsleute für Tunken und Pampen jeder Couleur kann sich natürlich auch subtiler ausleben. Schließlich gibt es keine köstlichere Veredelung eines Waldbewohners als eine mit Sorgfalt zubereitete Wildsoße.

Die Wahl zwischen Veredelung und Verelendung war auch eine Lebensphilosophie: Führte ein junger Mann seine Freundin im nagelneuen Golf GTI aus, dann drückten die Raten für das Gefährt das Budget so weit, dass das Candle-Light-Dinner in besagter Frittenbude stattfinden musste. Fuhr man gar mit einem tiefergelegten BMW vor, dann standen weder Jäger noch Zigeuner auf dem Speiseplan, sondern Currywurst und Frikadelle.


Die Currywurst verdanken wir, wie so manches Leckerchen, den Preußen, genauer den Berlinern. In diesem Fall jedoch ist die Soße mit ihrer Geschmacksrichtung salzig, süß und irgendwas ein Segen, denn sie lässt einen für Momente vergessen, was sie bedeckt. Die Frikadelle ist in Berlin ein französisches Fleischkügelchen, eine Bulette. Nach der Berliner Hackfleischverordnung vom 10. Mai 1976 muss sie aus dem zerkleinerten, sehnenarmen Fleisch warmblütiger Tiere bestehen.

Der amerikanische Ethnologe R.W.B. McCormack hat für seine Feldstudie „Mitten in Berlin“ die Bulette einer so genauen Untersuchung unterzogen, dass künftige Berlin-Besucher nun über einen kulinarischen Kompass verfügen, um wirklich jede Art von Fleischeslust zu stillen: „Je nach Stadtteil trifft man edle oder weniger edle Tierbestandteile an: im Wedding vorwiegend Schwarte, Pansen und Lymphknoten; im Bezirk Mitte Drüsengewebe und Darm; im wohlhabenden Zehlendorf Parotis und Faszien; in Hohenschönhausen Ovarien und kutane Schleimhaut.“ Und wenn einem nichts davon mundet, hilft immer noch Senf. Am besten Düsseldorfer Löwensenf, sauscharf.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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