Wie sehen uns eigentlich die Holländer?

Von Studenten, die uns Deutsche fürchten, und von einem Schriftsteller, der uns bewundert.

Bald nach der deutschen Wiedervereinigung habe ich auf einer Irland-Reise eine Gruppe holländischer Studenten kennengelernt. Einer aus der Runde beschrieb, was für ihn ein typischer Deutscher sei: „Er ist fett, trinkt Bier und weiß alles besser.“ Ich hielt das zunächst für einen Scherz, zumal ich gerade ein Bier in der Hand hielt. Dann aber fügte eine Studentin hinzu: „Die Deutschen warten nur auf eine Gelegenheit, um wieder ganz Europa zu beherrschen, egal ob mit militärischen oder anderen Mitteln. Und Helmut Kohl ist der Mann dafür.“

Ich war irritiert. War Kanzler Kohl nicht ein Zugpferd der europäischen Einigung? Hatte er sich nicht gerade erst gegen Stimmen in der eigenen Partei durchgesetzt, die gefordert hatten, nach der Wende wieder auf die nationale statt auf die europäische Karte zu setzen? Ich kann mich nicht erinnern, je so mein eigenes Land verteidigt zu haben.

Nach meiner Rückkehr las ich von einer Umfrage in niederländischen Schulen, in der das Bild vom deutschen Nachbarn erhoben wurde. Das Ergebnis entsprach so ziemlich dem Bild, das die Studenten in Irland hatten. Zwanzig Jahre hatte ich nahe der holländischen Grenze gelebt, hatte in der Grenzstadt Aachen studiert. Und nie gemerkt, welch tiefes Misstrauen der Krieg hinterlassen hatte. Sind wir Deutschen solche Ignoranten?


Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter, Jahrgang 1954, hat unlängst in der „Zeit“ einen Artikel über sein Deutschlandbild so begonnen: „Ich bin Nachkomme jüdischer Familien, die durch den Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, aber Aversionen gegen Deutschland haben meine Eltern mir nie beigebracht. Ich habe Deutschland bereist und bewundere die Menschen, weil es ihnen gelungen ist, das Starke und Gute an der deutschen Kultur zu neuem Leben zu erwecken, ohne die Altlasten der Geschichte unter den Teppich zu kehren.“

Ich wüsste gern, was die damaligen Studenten heute, zwanzig Jahre später, zu diesen Worten sagen würden. Aber vielleicht ist de Winters Liebeserklärung ja nur ein traurig-tragischer Nachhall jener Bewunderung für die deutsche Kultur, die weite Kreise des jüdischen Bürgertums einst so tief geprägt hatte.

Jedenfalls fordert de Winter am Ende gerade das, wovor die Studenten sich gefürchtet hatten: „Soll dieses Deutschland doch Europa lenken. Lieber Berlin als Brüssel.“ Keimt hier etwa die alte Hoffnung wieder auf, die Welt könne am deutschen Wesen genesen, an preußischer Disziplin und Sparsamkeit? Ein europäischer Gedanke ist das freilich nicht. Dass die Regierung in Berlin zurzeit nur allzu zögerlich ihre Führungsrolle einnimmt, zeigt, wie unberechtigt heute Ängste vor deutschem Größenwahn sind. Die Deutschen haben eher Großverdiener- denn Großmachtsorgen.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2012)

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