Berliner Schnauze

Was die Berliner Schnauze von der Wiener Goschen unterscheidet. Und von ein paar Unarten, die beide gemeinsam haben.

Ich war in Berlin und habe dort die Exsängerin unserer Band getroffen. Sie ist eine Wienerin, die seit Kindesbeinen immer wieder Ortswechsel erlebt hat, und ihr Umzug nach Berlin war ein bewusster Bruch mit ihrem bisherigen Leben. Auf meine Frage, ob sie Wien vermisse, meinte sie: Nicht die Bohne, wenn sie nur einen Österreicher im Fernsehen reden höre, müsse sie sofort abdrehen. Ich bat sie, mit einem Satz zu sagen, was Berlin von Wien unterscheide, und die bekennende Austrophobikerin antwortete mit einem schönen österreichischen Wort: „Hier wurlt es.“

„Wurlen“ ist sprachgeschichtlich mit „wirr“ verwandt, und für einen Wiener ist das Berliner Gewimmel in der Tat zunächst einmal verwirrend, zumal man es in Wien eher mit der Maxime hält: „Nur kane Wölln!“ Der Berliner kennt zwar auch den Vorsatz „Nur keene Uffrejung“, das ist jedoch kein Ausdruck von Wiener Wurstigkeit, sondern dient eher zur Beruhigung der eigenen, stets überhitzten Aggregate.

Dabei gibt es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Wienern und Berlinern, etwa den Hang zur strukturellen Unfreundlichkeit. „Nu machen Se ma hinne!“, bekommt man zu hören, wenn man einem Berliner an der Supermarktkasse zu langsam ist. Doch während die berüchtigte Ruppigkeit der „Berliner Schnauze“ ihrem Benutzer geradezu die Luft nimmt, hat man bei einem Wiener zuweilen das Gefühl, er bringe soeben widerwillig den letzten Atem auf, um mit einem zu reden. Der Unterschied ist vor allem einer des Temperaments und Tempos. „Dalli, dalli“ ist nicht nur der Titel einer überdrehten deutschen Quizsendung aus den Siebziger- und Achtzigerjahren, sondern, ebenso wie „Höchste Eisenbahn!“, eine Berliner Redensart.


Was Wiener und Berliner gleichfalls teilen, ist die gern zur Schau getragene Haltung, dass einen nichts überraschen kann. Mag sein, dass das etwas Großstädtisches ist, mit dem man sich von den Landeiern abgrenzt. Aber während der Wiener einen zähen, anscheinend in Äonen gewachsenen Argwohn an den Tag legt („Mir dazöhlst du nix“), ist der Berliner von seiner pfiffigen Abgeklärtheit beseelt („Ick wunder mir über janüscht mehr“).

Doch zurück zu unserer Exsängerin. Im Alltag, so erzählt sie, habe das Phänomen der Berliner Beschleunigung zur Folge, dass man oft etwas dreimal sagen müsse, bevor man gehört werde. Schließlich wimmelt es in Berlin von Glücksrittern, die es wissen wollen. Und wo's wurlt, da ist man nicht im Mußemodus des Zuhörens. Wird man in Wien denn schon beim ersten Mal gehört? Ich würde sagen, man fällt eher auf, vor allem wenn man etwas direkt und deutlich sagt. Aber für diesen Fall gibt es ja immer noch die Unterscheidung zwischen gehört werden und Gehör finden, auf die sich wohl niemand besser versteht als der Wiener.

dietmar.krug@diepresse.com DiePresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2012)

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