Über Helmut Kohl

Für viele Deutsche meiner Generation war er der ewige Kanzler, Staats- und Biedermann in einer Person.

Vergangene Woche hat das offizielle Deutschland ein Jubiläum gefeiert. Vor dreißig Jahren ist Helmut Kohl Kanzler geworden, mit einem Misstrauensvotum gegen den amtierenden Helmut Schmidt. Gewählt wurde er erst im Jahr darauf, es war der erste Urnengang, an dem ich teilnehmen durfte. Vier rote Kanzlerkandidaten, Vogel, Rau, Lafontaine und Scharping, haben sich an dem „Riesen aus Oggersheim“ die Zähne ausgebissen. Für Deutsche meiner Generation war Kohl so etwas wie der in Beton gegossene Regierungschef; einen Politiker sechzehn Jahre ununterbrochen an der Macht zu sehen ist für junge Menschen eine schier endlos lange Zeit.

Als Kohl Kanzler wurde, hob ein Naserümpfen in Intellektuellenkreisen an. Helmuth Karasek widmete ihm im „Spiegel“ eine verächtliche Polemik. Unter dem Titel „Der sprachlose Schwätzer“ listete er genüsslich den rhetorischen Bombast in Kohls Sprache auf, all die aufgeblasenen Worthülsen, die nur dazu dienen würden, Kohls Herkunft aus der pfälzischen Provinz vergessen zu machen.

Verleugnung der Herkunft? War Kohl nicht gerade die bewusste Verkörperung des ländlichen Biedermanns, mit Strickjacke, hausbackener Autorität und dem berüchtigten pfälzischen Saumagen, den er stets seinen Staatsgästen servieren ließ?

Jedenfalls hat Kohl nie versucht, sich einen flotteren „Spin“ zu geben, und so dafür gesorgt, dass er von den meisten unterschätzt wurde. Allen voran von Franz Josef Strauß, der seinen Rivalen offen verachtet hat und schließlich von ihm kaltgestellt wurde. Am Ende sind die Kritiker an Kohls Stil kleinlaut geworden, am Erfolg ist letztlich noch jeder intellektuelle Snobismus zerschellt.


Als Politiker habe ich Kohl in zwiespältiger Erinnerung. Meinen größten Respekt hatte er, als er nach der Wiedervereinigung weiter vehement auf ein starkes Europa setzte – und nicht, wie von vielen in der eigenen Partei gefordert, auf Deutschlands Dominanz. Seine herausragende Rolle nach dem Fall der Mauer lässt indes leicht vergessen, dass er kurz zuvor laut sämtlichen Umfragen politisch am Ende war. Kohl galt, zumindest bis dahin, als Meister im Aussitzen von Problemen.

Dass am Schluss dieser großen Karriere ein schmählicher Parteispendenskandal stand, zeigt nur, dass Kohl immer beides zugleich war: ein Politiker mit einer europäischen Vision und ein kleinkrämerischer Pragmatiker der Macht, Staats- und Biedermann in einer Person. Sein tiefer Fall zeigt aber auch, dass in Deutschland selbst ein Mann mit solchen Verdiensten nicht erhaben ist über die Gesetze der politischen Hygiene.

Wäre er ein österreichischer Politiker gewesen, hätte er sich für die nicht offengelegte Parteispende nicht einmal rechtfertigen müssen.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

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