"Petting statt Pershing"

Oder: Warum ich gleich zweimal durch die Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer gefallen bin.

Die Wehrpflicht hat mich in jungen Jahren nicht nur zu der Entscheidung gezwungen, ob ich meinem Land fünfzehn Monate mit der Waffe oder eineinhalb Jahre in einer sozialen Einrichtung dienen wollte. Sie hat mich auch politisiert. Denn damals gab es noch die „Gewissensprüfung“, und bei der bin ich gleich in zwei Instanzen durchgefallen.

In der ersten bin ich an der Begrenztheit meiner Vorstellungskraft gescheitert: „Stellen Sie sich vor, Sie werden Zeuge, wie Ihre Freundin vergewaltigt wird, und haben zufällig eine geladene Maschinenpistole dabei.“ Hm. Auch erwies es sich als heikel, dass in der Kommission ein versehrter Kriegsveteran saß. In der Diskussion über den Sinn von Abrüstungsverhandlungen meinte er: „Ja, wir sind zivilisiert genug für so was, aber der Russe nicht.“ Ob der Herr wohl einst am Angriff auf die Sowjetunion teilgenommen hat, der bekanntlich eine Mission zur Hebung zivilisatorischer Standards war?

Warum ich durch die zweite Verhandlung gefallen bin, weiß ich bis heute nicht. Der Vorsitzende der Kommission verdrehte die Augen, als ich die Notwendigkeit schrittweiser Abrüstung verteidigte. „Schrittweise? Heißt das, dass Sie als Kriegsdienstverweigerer Waffen temporär akzeptieren?“ Ein geprüftes Gewissen hieß also: Antragsteller glaubt an gute Feen, die über Nacht alle Waffen wegzaubern.

Dann folgte eine anstrengende Diskussion über die Frage, ob ich die Bundesrepublik prinzipiell für verteidigungswürdig hielt. Womöglich habe ich dabei keine gute Figur gemacht, weil ich schlicht überfordert war. Wir befanden uns in der Schlussphase des Kalten Krieges, die Regierung Kohl hatte soeben den Nato-Doppelbeschluss durchgeboxt, der die Aufstellung von Pershing-2-Raketen auf deutschem Boden vorsah, als Antwort auf neue sowjetische Atomraketen.


Die Frage, ob ich mein Land für verteidigungswürdig hielt, war nicht zu trennen von einem möglichen Kriegsszenario, bei dem Deutschland, West wie Ost, im Zentrum eines nuklearen Schlachtfelds gelegen hätte. Die deutsche Friedensbewegung war damals auf ihrem Höhepunkt, sie brachte Hunderttausende auf die Straße. Ich erinnere mich noch an Transparente, auf denen „Lieber rot als tot“ stand oder „Petting statt Pershing“.

Dass ich am Ende doch nicht gedient habe, dafür hat ausgerechnet der ehemalige „Feind“ gesorgt. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, nach dem Studium in Wien zu bleiben und bis zur Verjährung der Angelegenheit nicht mehr nach Deutschland einzureisen. Ich zögerte und hatte schließlich die Einberufung schon in Händen, doch dann fiel die Berliner Mauer, und es gab gleichsam über Nacht zu viele Soldaten. Wie war das mit der guten Fee?

Eine Volksbefragung wie die von vergangenem Sonntag wäre für meine Generation damals ein unerhörtes Politikum gewesen. Hier war sie nur ein Gegenstand von Parteiengezänk. Sie hat die jungen Menschen, die es ja eigentlich betrifft, so gut wie gar nicht mobilisiert. Gewissensprüfungen sind abgeschafft, und der Gedanke, Soldat zu werden, ist offenbar völlig losgelöst von dem Zweck, dem eine Ausbildung an der Waffe eigentlich dient.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2013)

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