Vom Klassenkampf und von der Wiener Großzügigkeit

Und warum die Deutschen so gern auf die Magie der Zahlen setzen.

Bein Heagod zööd nua da guade Mensch./ Bei uns güüt a ,Bessara‘ a bisserl mea./ Mia nemmans hoed ned so genau.“ – „Wienerische Großzügigkeit“ hat die Lyrikerin Christine Busta ihr Gedicht über die Genauigkeit beim Nicht-so-genau-Nehmen benannt. Es kam mir in den Sinn, als ich die Verhandlungen über das neue Lehrerdienstrecht verfolgte. Die Einigung ist ja nicht zuletzt an der Frage gescheitert, ob es gerecht sei, dass Pflichtschullehrer weniger verdienen als AHS-Lehrer.

Wer hier gleiche Entlohnung fordert, dem wird rasch etwas vorgeworfen, was man sich in Österreich nicht gern nachsagen lässt: Klassenkampf! Wobei der Klassenkampf inzwischen sogar im bürgerlichen Lager angekommen zu sein scheint. Als Rückfall in überkommenes Standesdenken hat der ehemalige steirische Landesschulratspräsident und ÖVP-Politiker Bernd Schilcher die Position seiner eigenen Partei bezeichnet.

In Deutschland ist die Gesellschaftspyramide zwar keinen Deut weniger sozial durchlässig als in Österreich, aber die Debatten verlaufen meist ganz anders. Man verlässt sich lieber auf die Magie der Zahlen als auf die Macht des Lagers. Schon in meiner Gymnasialzeit wurde mir von meinen Lehrern vorgerechnet, warum ein Gymnasiallehrer mehr verdienen muss als ein Grund- oder Hauptschullehrer. Schließlich studiert er länger. Er muss sich mit karger Studentenkost begnügen, während andere in seinem Alter schon ein richtiges Gehalt beziehen. Und am Ende fehlen ihm dann auch noch wichtige Jahre bei der Bemessung der Pension. Eine Gleichbehandlung wäre die wahre soziale Ungerechtigkeit.


Das Argument mit der Pension leuchtet mir ein, ich möchte auch nicht an meinem Lebensabend für meine Berufswahl bestraft werden. Ansonsten habe ich das Argument nie verstanden.

Meinen Ausbildungsweg habe ich immer als ein Privileg empfunden, einen Glücksfall. Ich durfte lernen, studieren und mich bilden, während meine Freunde seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr an der Werkbank oder hinter einer Ladentheke standen. Der Staat hat mir kostenlos ein Studium ermöglicht, das mich tief geprägt hat, weil es mir einen anderen, einen reflektierteren Blick auf die Welt erlaubt hat. Das Leben als Student war eines der denkbar großen Freiheit, zumal im Vergleich zum geregelten Alltag eines Berufstätigen. Ich hatte über Jahre eines der kostbarsten Güter für einen jungen Menschen zur Verfügung: Zeit.

Dieses Privileg habe ich in weiterer Folge noch einmal um einige Jahre ausgeweitet, indem ich mein Studium um eine Dissertation verlängert habe, finanziert durch ein staatliches Stipendium. Und jetzt soll ich eine lebenslange Entschädigung dafür fordern, dass dieses Stipendium niedriger war als ein Gehalt? Das erschiene mir undankbar, ja schamlos.

Ist das jetzt Klassenkampf, wenn ich frage: Wonach bemisst sich eigentlich ein Gehalt? Macht ein Hauptschullehrer heutzutage nicht oft einen viel härteren Job als ein Gymnasiallehrer, nämlich als Lehrer und Sozialarbeiter in einer Person?

dietmar.krug@diepresse.com diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2013)

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