Unschuldiger Nationalismus

Gab es in der Revolution von 1848 noch so etwas wie einen unschuldigen Nationalismus? Wie wir wurden, was wir sind, Teil zwei.

Es gibt wohl kaum ein historisches Ereignis, das so zur Parteinahme herausfordert wie die Revolution von 1848. Barrikadenkämpfer, die im Ringen für eine gute Sache scheitern, ziehen Sympathien auf sich. Schließlich ging es um liberale Verfassungen, um bürgerliche Rechte und Freiheit. Und es ging um die Nation, ein geeintes Deutschland sollte es sein. Das Nationale war damals das Fortschrittliche, eine Kampfansage an die verkrusteten Höfe mit ihren dynastischen Einzelinteressen und ihrem Gottesgnadentum. Gab es also zumindest 1848 so etwas wie einen unschuldigen Nationalismus? Ich habe da meine Zweifel.

Etwas eigentümlich Irrationales umweht diese Revolution. Zwar war sie am Anfang eine höchst erfolgreiche Erhebung, die Höfe wackelten oder waren auf der Flucht. Metternich, die Symbolfigur der reaktionären Macht, war gestürzt. In der Frankfurter Paulskirche wurde ein Parlament gegründet, Honoratioren aus ganz Deutschland debattierten dort über eine künftige Verfassung. Natürlich waren auch österreichische Abgeordnete vertreten, auf dem Stephansdom wehte die schwarz-rot-goldene Fahne.

Österreich sollte Teil des künftigen Deutschland sein, zumindest mit seinen deutschsprachigen Gebieten. Das aber wäre auf eine Zerschlagung des Vielvölkerstaats hinausgelaufen. Der österreichische Ministerpräsident Schwarzenberg antwortete auf diese großdeutsche Lösung mit einer riesengroßdeutschen Vision. Soll sich doch das geeinte Deutschland an die gesamte Habsburgermonarchie anschließen: ein „Siebzig-Millionen-Reich“, unter dem Szepter eines deutschen Kaisers in Wien, versteht sich.


Die Abgeordneten wandten sich daraufhin an den preußischen König und trugen ihm die deutsche Kaiserkrone an. Eine Krone von Gottes Gnaden hätte er schon genommen, aber doch nicht diesen „Reif aus Dreck und Letten“, umweht vom „Ludergeruch der Revolution“! Die Revolutionäre waren gescheitert, der traurige Rest war Sache der Armee.

Was von der Revolution blieb, waren nicht zuletzt jene hitzigen Größenfantasien, die die nationale Idee von Anfang an begleitet hatten. Bei der Frage, wie das künftige Deutschland aussehen sollte, verfuhr man nach der Devise: Im Zweifelsfall für Deutschland! Ein Anspruch auf Autonomie für die italienischen Gebiete in Tirol wurde von den Parlamentariern als „halber Verrat an der Nation“ verworfen. Ein Selbstbestimmungsrecht der Polen in Posen und der Tschechen in Böhmen? Nichts da, alles deutsch!

Der Nationalismus war nie im Zustand der Unschuld gewesen, schon gar nicht der deutsche, der so viel auf- und nachzuholen hatte. Die Ohnmacht der Revolution wurde kompensiert durch Großmachtfantasien, ein folgenreicher Sündenfall.

Und noch etwas hatte sich abgezeichnet. Das Säbelrasseln bei den Debatten um groß- oder kleindeutsche Lösungen, um österreichische oder preußische Dominanz, hatte den Pfad bis nach Königgrätz vorgezeichnet. Es sollte die verlustreichste europäische Schlacht des 19. Jahrhunderts werden.

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2013)

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