Sommerfrische

Über eines meiner hiesigen Lieblingswörter, die »Sommerfrische«. Und über eine Gegend, in der ich mich (fast) wie zu Hause fühle.

Die „Sommerfrische“ empfinde ich als ein zutiefst österreichisches Wort. Darum wundere ich mich, dass der Duden sie nicht als Austriazismus ausweist, sondern als eine zwar veraltete, aber regional nicht beschränkte Bezeichnung für einen „Erholungsaufenthalt auf dem Land, an der See, im Gebirge“. Auch der Ort, zu dem der Städter flüchtet, kann eine Sommerfrische sein.

Das Wort ist erst seit dem 19. Jahrhundert gemeinsprachlich, die ersten Belege dafür finden sich indes bereits im 15. Jahrhundert, und zwar in Tirol. Das deckt sich zumindest mit den Assoziationen, die ich mit der Sommerfrische verbinde: ein Gebirgsbach in einem schattigen Waldstück oder eine Almwiese in einer Höhe, die bereits der Hitze in den Niederungen trotzt. Gerade die Temperaturen der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass sich der Sommer nur unter gewissen Bedingungen mit der Frische vermählt.

Nie habe ich etwa den Süden Europas als sommerfrisch erlebt. Oder ist je jemand frisch-fröhlich über den glühend heißen Sand zum Meer gehüpft? Sosehr ich Feigen, Pinien und Ölbäume schätze, als einen Bewuchs der Frische habe sie nie empfunden. Genießen kann ich all das ohnehin nur im Frühling oder im Herbst. Nein, beim Wort Sommerfrische entsteht in mir automatisch ein Bild, das sich aus einem ganz bestimmten Blauton des Himmels und jenem satten Grün zusammensetzt, das nur die Weiden und Bäume Mittel- und Nordeuropas bieten. Und je älter ich werde, desto mehr weiß ich diese Art des Sommers zu schätzen. Es ist der Sommer meiner Kindheit.

Vergangene Woche habe ich einen Freund besucht, der die Sommerfrische zu seinem Domizil gemacht hat. Er lebt jetzt am äußersten östlichen Alpenrand, am Wechsel. Ich kannte die Gegend noch nicht, und ich muss nach einem guten Dutzend Radtouren durch Österreich wieder einmal anerkennen, dass dieses Land auf seiner vergleichsweise kleinen Fläche über einen erstaunlichen Reichtum an schönen Landschaften verfügt. Doch der Wechsel ist schon etwas Besonderes. Vielleicht gefällt mir diese Landschaft ja deshalb so gut, weil sie den Reiz des Mittelgebirges mit dem weiten Horizont der Ebene verbindet. Schließlich bin ich in der endlosen Weite der Rheinischen Tiefebene aufgewachsen, so etwas prägt. Wenn mich zu lange ringsum Berge umgeben, fühle ich mich irgendwann beengt.

Auf einer Alm am Wechsel hatte ich hinter mir den Berg, und vor mir konnte der Blick im grünen Panorama schweifen, zur Rechten über das steirische Hügelland und zur Linken über die Bucklige Welt ins Burgenland und bis weit in die ungarische Tiefebene hinein. Das nenn ich mir eine Sommerfrische, wie geschaffen für einen Flach- und Rheinländer, den es in die Berge verschlagen hat.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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