Heinz-Christian Strache

Heinz-Christian Strache hat sich in einem Interview auf Kants kategorischen Imperativ berufen. Das konnte nicht gut gehen.

Der Obmann der Freiheitlichen hat sich kürzlich im Ö1-Interview in die Untiefen der Philosophie begeben: Sein Plakatslogan „Liebe deine Nächsten – für mich sind das die Österreicher“ sei nämlich gar keine religiöse Botschaft, Nächstenliebe sei ein allgemein menschlicher, ein philosophischer Wert. Und dann kam's: „Nächstenliebe war ja ein wichtiger Wert der Aufklärung, auch bei Immanuel Kant, wenn es um seinen kategorischen Imperativ geht.“

Nun mag Straches plakatierte Mitteilung, wer für ihn die Nächsten sind, ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung sein, aber mit Immanuel Kant als Gewährsmann hätte er kaum herber danebengreifen können. Was ist eigentlich der berühmte kategorische Imperativ? Er lautet: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Etwas vereinfacht heißt das: Wenn ich im Zweifel bin, ob ich etwas stehlen soll oder nicht, dann muss ich mich nur fragen, ob ich wollen kann, dass alle Menschen stehlen. In dem Fall würde ich aber bald selbst nichts mehr besitzen. Ein Sittengesetz, das aus dieser Einsicht folgt, gilt für alle, ausnahmslos und überall, kategorisch eben.

Auf Straches Plakat angewandt, hieße das: Kann ich wollen, dass alle Menschen ihre Nächsten lieben und dabei zugleich alle Österreicher als die Nächsten betrachten? Das planetare Ausmaß an Liebe, das dann über Österreich hereinbrechen würde, wäre kaum auszuhalten. Die Zielgruppe der FPÖ sollte bedenken, dass mit diesen Plakaten ungeheure Migrantenströme nach Österreich gelockt werden. Denn wo sollen die auch sonst hin mit all ihrer kategorischen Nächstenliebe zu den Österreichern? Und dann kommen nicht nur weiße Frauen mit weißem Haar wie jene, die auf dem Plakat dem Strache das Bäckchen tätschelt.


Das Wort „kategorisch“ empfinde ich als ein zutiefst deutsches, oder genauer: preußisches Wort. Im ostpreußischen Königsberg, das Kant zeitlebens kaum je verlassen hat, trieb er mit seinen Kategorien die deutsche Aufklärung auf ihre Spitze. Seine Morallehre ist eine reine Vernunfts- und Pflichtethik. Ist eine gute Tat einmal mit Gefühl und Neigung im Einklang, dann ist das eine zufällige Draufgabe, mehr nicht.

Kategorisch sagt man eher Nein zu etwas, nicht Ja. Darum eignet sich das Kategorische auch so gut für die protestantische Askese, in Österreich ist es, so scheint mir, überhaupt keine Kategorie. Hierorts von jemandem zu verlangen, etwas kategorisch zu behaupten oder auszuschließen, heißt, einen Menschen in tiefe Verlegenheit zu stürzen. Denn das Kategorische ist der Feind jeglicher Geschmeidigkeit, der Riegel für alle Hintertürchen, das definitive Ende der Maxime: Erst schauen wir mal, dann werden wir sehen.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2013)

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