Diese Deutschen: Helmut Zilk

Wie Bürgermeister Zilk meinen Landsleuten freundlich zuwinkte oder: Eine Erinnerung an die Zeit, als ich noch nicht wusste, ob Salzburg in Deutschland oder in Österreich liegt.

Bei einem Rückblick auf meine bisherigen Kolumnen ist mir aufgefallen, dass ich über diese Deutschen meist mit einem Seitenblick auf die Österreicher schreibe. Und umgekehrt betrachte ich meine Wahlheimat stets unter der Perspektive eines Deutschen, der hier seit Langem lebt. Dabei gab es einmal eine Zeit – über zwei Jahrzehnte hat sie gedauert –, in der ich noch nicht in Österreich lebte und auch keinerlei Absicht hatte, das jemals zu tun. Was habe ich damals eigentlich über unser Nachbarland gedacht? Was ist meine erste Erinnerung an das Phänomen Österreich?

Es ist eine Kindheitserinnerung, in der ich mit meinen Eltern im Auto sitze. Wir sind auf Urlaub in den Bergen, pendeln zwischen Bayern und Österreich hin und her, auf beiden Seiten der Grenze sieht es gleich aus, bergig und grün. Irgendwann sehe ich auf einem Schild den Namen Salzburg, und ich frage meinen Vater: „Liegt Salzburg eigentlich in Deutschland oder in Österreich?“ Die Antwort meines Vaters hat einen gereizten Unterton. Vielleicht spielt mir hier auch nur mein Gedächtnis einen Streich, weil ich mir heute, nach gut zwanzig Jahren in Österreich, die Äußerung einer solchen Frage einfach nicht mehr vorstellen kann, ohne dass danach irgendwem das Geimpfte aufgeht. Vielleicht war die Antwort meines Vaters auch nur deshalb gereizt, weil er meinte, ich sei jetzt alt genug, um Städte von Nachbarländern richtig zuzuordnen. Mein Interesse an Landkarten war damals, gelinde gesagt, noch nicht geweckt. Und wenn Würz-, Nürn- und Regensburg in Deutschland liegen...


In meiner nächsten Erinnerung ist Österreich ein riesiger farbiger Fleck auf einer Karte im Geschichtsunterricht. Meine heikle Frage von damals hätte ich schwerlich stellen können, Deutschland gibt's auf der Karte gar nicht. Den Fleck, der sich da quer über Mittel- und Südosteuropa erstreckt, kann ich kaum mit dem Land in Verbindung bringen, in dem meine Eltern mir einen Tirolerhut mit Gamsbart aufgesetzt haben. Über dieses reale Österreich weiß ich – wie alle meine Mitschüler – so gut wie nichts. Über andere kleine Nachbarländer wie Belgien, Holland oder die Schweiz wissen wir allerdings auch nicht mehr.

Irgendwann beginne ich Zeitungen zu lesen, einige Namen tauchen auf: Bruno Kreisky, Jörg Haider. Die Wahrnehmung hinter der Berichterstattung ist äußerst selektiv, und gelegentlich mischt sich ein befremdlich hämischer Ton in die Artikel über Österreich.

Der „Spiegel“ bringt eine Meldung auf der letzten Seite: Deutsche Wien-Besucher hätten einen Mann in einer Kutsche gesehen, der aufgeregt gewinkt und gerufen habe: „Ich bin der Bürgermeister von Wien!“ Daneben ein Foto von Helmut Zilk. Ist das wirklich eine Erinnerung? Oder hat mir später ein Österreicher von dem Artikel erzählt, verpackt in die Klage: So schreibt ihr immer über uns, wenn überhaupt!

Außerdem: Warum sollte der Zilk mit dem Fiaker durch Wien fahren? Hat er so seine Daggi zum Dinner abgeholt?

dietmar.krug@diepresse.com diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2013)

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