Aversionen gegen so manchen fremden Sprachklang

Man sollte sich hüten, sie vorschnell zu äußern.

Es gibt einen Sprachklang einer europäischen Nation, mit dem ich mich schwertue. Ich verbinde damit so unterschiedliche Assoziationen wie popanzhaftes Pathos und appellative Wehleidigkeit. Ich weiß nicht, woher ich diesen Tick habe. Ist es eine preußisch-puritanische Aversion gegen den Ausdruck großer Emotion? Oder ist meine Mutter schuld, die immer gesagt hat: „Wenn die reden, klingt es immer so, als würden sie streiten.“

Ich hatte einmal eine Arbeitskollegin, die aus dem Land mit dem eigentümlichen Klang stammte. Mir war klar, dass ich meine persönlichen Klangphobien im Umgang mit ihr besser für mich behalten sollte. Das fiel mir nicht schwer, denn die Kollegin war mir von Anfang an sympathisch. Als wir uns etwas besser kannten, erzählte ich ihr von meinem Tick, und in einem netten kollegialen Moment wagte ich mich noch etwas weiter vor und parodierte den besagten Klang, ohne die Sprache zu beherrschen, dem er entstammt. Die Belustigung, die ich damit erntete, zeigte mir: Die Kollegin wusste, dass nicht sie es war, die da verspottet wurde, sondern ein fiktiver Landsmann, zu dem dieser Klang passte, ein exaltierter Poseur, schwankend zwischen Pathos, Passion und Wehleid.


In der letzten Kolumne habe ich von zwei feindseligen Erfahrungen erzählt. In beiden Fällen wurde mein Wunsch, einen freien Platz im Zug einzunehmen, von meinem erwählten Sitznachbarn als Zumutung zurückgewiesen, mit dem Hinweis auf meine Herkunft. Da man mir diese Herkunft nicht ansieht, sondern nur anhört, frage ich mich: Wie klinge ich eigentlich, wenn ich hierorts einen fremden Menschen anspreche? Weckt mein Sprachklang am Ende in manchen österreichischen Ohren auch heikle Assoziationen, so wie der Ton des fiktiven Poseurs in meinem Klangempfinden?

Ich habe eine deutsche Bekannte, die seit Jahren in Österreich lebt, gefragt, ob sie ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Nein, habe sie nicht. Liegt es also doch an mir, an meinem Klang? Oder liegt es daran, dass man einer Frau diesen Klang leichter verzeiht? Meine Bekannte erzählte mir von anderen Erfahrungen. Bei Meinungsverschiedenheiten auf der Arbeit hätten ihre österreichischen Kollegen oft mit dem Satz reagiert: „Macht man das so in Deutschland?“ Sie sei dann in ihrer Sprache vorsichtig geworden, habe manche Anliegen immer nur mit besonderer Höflichkeit vorgetragen.

Jeder hat Aversionen in sich, die sich aus mehr oder weniger real existierenden Quellen speisen. Wer ein freundliches Miteinander will, sollte sich vorschnelle Inkontinenzen in solchen Belangen versagen. Ich fände den Gedanken jedenfalls schrecklich, dass die Kollegin aus besagter Nation aufgrund meines Verhaltens ihre natürliche Art zu sprechen eingebüßt hätte.

dietmar.krug@diepresse.com 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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