Piefkekomplex

Der hiesige Piefkekomplex hat spürbar Patina angesetzt, er gilt bei vielen als uncool. Was ist da eigentlich passiert? Über das Deutschlandbild der jungen Österreicher, Teil 1.

Wenn ich spontan drei Dinge nennen müsste, die ich mit Österreich verbinde, dann wäre eine Eigenschaft eher nicht darunter: Veränderungsfreudigkeit. Was jedoch das deutsch-österreichische Verhältnis anlangt, hat sich hierzulande ein Wandel vollzogen, der einer Revolution gleichkommt. Und das innerhalb von nur zwei Generationen.

Die Historikerin Brigitte Hamann hat erzählt, wie sie 1965 als deutsche Studentin nach Wien kam: „Es hat niemand mit uns geredet, wir haben immer nur gehört, wie sie geschimpft haben: ,Diese Nazis!‘ Wir haben nur das Wort ,Nazis‘ gehört.“

Ich bin eine knappe Generation später nach Wien gekommen, 1988, in Österreichs heißem „Gedenkjahr“. Die Anhänger der Opferthese kämpften erstmals auf verlorenem Posten – und darum umso verbissener. Die Auseinandersetzung um Österreichs Vergangenheit war endlich dort angekommen, wo sie hingehörte. Als Nazi hat mich hier nie jemand beschimpft. Die atmosphärischen Störungen, die ich erlebte, standen eher im Zeichen von Krampf und Komplex auf der einen und von Unsensibilität auf der anderen Seite.

Seither ist wieder eine Generation vergangen, und die Kämme der Kampfhähne haben Patina angesetzt. Die Zukunft gehört ihnen nicht mehr. Wer heute jung ist, ist mit einem Deutschlandbild groß geworden, das immer wieder zur Auseinandersetzung und Identifikation reizt, weil man sich damit auf Augenhöhe fühlt. Die Kids tragen bei den Fußballfesten T-Shirts mit Schweinsteiger-Konterfei und sagen „Tschüss“, sie hören deutsche Popbands ebenso gern wie englische.


Was ist da eigentlich passiert? Jedenfalls war es keine Einübung in politischer Korrektheit, was diesen Wandel herbeigeführt hat, sondern eher der empfindlichste Sensor, über den die Jugend seit jeher verfügt: ein Gespür für das, was einengt und ranzig ist, was uncool wirkt.

Es wird oft behauptet, an der „Eindeutschung“ der hiesigen Sprache sei nur das Fernsehen schuld. Stimmt schon, Filme und Serien werden in Deutschland synchronisiert, österreichische Spracheigenheiten bleiben da auf der Strecke, übrigens ebenso wie sächsische, badische, rheinische. In keiner deutschen Region spricht man so, wie es aus dem Fernsehen tönt. Da erklingt eine Kunstsprache, die offenbar besser in unsere kommerziell durch und durch synthetisierte Epoche passt als ein gewachsener Dialekt.

In Kulturpessimismus verfalle ich deswegen dennoch nicht. Noch jede Jugend hat ihre Sprache gefunden, mit der sie sich ihren Platz in der Welt erkämpft hat. Heute ist die Sprache der jungen Menschen durch Internet und SMS geprägt, und damit von der Allgegenwärtigkeit der Schrift, auch der eigenen. Die Aufforderung, „nach der Schrift“ zu reden, hat ihren Schrecken verloren, man tut es längst. Und die Schriftsprache, die deutsche zumal, hatte immer schon die Funktion, regionale Beschränkungen zu überbrücken. Wer kann bedauern, dass die Welt weiter wird?

dietmar.krug@diepresse.comdiepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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