Schreiben über Deutschland

Immer wenn ich mir vornehme, etwas über Deutschland zu schreiben, kommt mir flugs Österreich in die Quere. Warum nur?

In der vorletzten Kolumne habe ich angekündigt, etwas über Deutschland zu schreiben. Denn bei der Durchsicht meiner Kolumnen ist mir bewusst geworden, dass sie mehr von Österreich erzählen als von dem Land, aus dem ich stamme. Ich gestehe: Ich bin an diesem Vorhaben gescheitert. Die erste Version dieser Kolumne ist im Papierkorb gelandet, die zweite gleich hinterher. Und da eine dritte nur Flickwerk sein kann, habe ich mich entschlossen, lieber über die Gründe dieses Scheiterns zu schreiben. Warum kann ich nicht über Deutschland schreiben?

Ein Grund ist: Der Motor, der sonst mein Schreiben antreibt, kommt nicht recht in die Gänge. Er wird von einem speziellen Brennstoff angetrieben, von einem Gemisch, das Hitze, Reibung und Bewegung erzeugt. Es besteht aus Ingredienzen wie Ärger und Trotz, Belustigung und Erheiterung, auch aus Neigung und Sympathie, erwiderter wie verschmähter. Über all das kann ich schreiben, aber sobald ich über Deutschland schreibe, kommt dabei nur etwas heraus, was man hierzulande so treffend als Gschichterl bezeichnet.

Österreich ist das Land, in dem ich den erwachsenen Anteil meines bisherigen Lebens verbracht habe. Hier habe ich all meine beruflichen Erfahrungen gemacht, hier sind die meisten meiner Freunde zu Hause, hier leben die Menschen, die ich liebe. Und hier steht das Leben seit über zwei Jahrzehnten unter der emotionalen Herausforderung einer Migration, der sich auch ein Deutscher stellen muss, ob er will oder nicht.


Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum ich mir schwertue, über Deutschland zu schreiben. In der Kolumne, die im Papierkorb gelandet ist, habe ich von dem Gymnasium erzählt, das ich besucht habe. Es ist eine katholische Ordensschule in der rheinischen Provinz, die zu meiner Zeit in einem Spannungsverhältnis zwischen Konservativismus und moderner Siebzigerjahre-Pädagogik stand. Ich habe von beidem profitiert und unter beidem gelitten. Erzählt habe ich davon, dass sich in meiner Klasse unter lauter rheinisch-katholischen Jungen auch einige norddeutsche Protestanten befanden. Diese Kinder unterschieden sich von den anderen durch ihren Ernst und ihre Korrektheit. Mit ihrer Eloquenz führten sie uns, ohne es zu wollen, unseren schwerfälligen rheinischen Singsang vor Ohren. Kommt Ihnen das bekannt vor? Ich habe wieder über Österreich geschrieben.

Es gibt so viele Ähnlichkeiten zwischen Österreich und jenen deutschen Regionen, die tief vom Katholizismus geprägt sind. Doch in einem Land, das so vehement Wert auf die Unterschiede legt, verspüre ich stets einen inneren Widerstand, so etwas beim Namen zu nennen. Vielleicht aus Trotz, vielleicht aber auch aus Angst, man könnte mir das als Anbiederung auslegen.

dietmar.krug@diepresse.com

diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2014)

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