Großmutters Prophezeiung

Wie ich eine österreichische Familie dazugewann, warum der Schwager "wen Normalen" heimbringen sollte und wie sich Großmutters Prophezeiung erfüllte.

Was mich als Deutschen nach Österreich verschlagen hat? Die Liebe war's. Die gibt es heute, 23 Jahre später, immer noch. Auch wenn ich nicht verheiratet bin, habe ich mit der Frau, die mich ins Land gelockt hat, eine Familie dazugewonnen, eine Schwiegersippe. Von der bin ich herzlich aufgenommen worden, übrigens ebenso wie die Lebensgefährtin meines Schwagers, die auch aus Deutschland stammt. Nun ist meine Schwiegerfamilie eine österreichische Familie, eine steirische, und die starke deutsche Fraktion in der Sippe hat dem Vater meiner Freundin dann doch ein wenig Stirnrunzeln bereitet. Darum hat er seinem jüngsten Sohn, als der ins paarungsfähige Alter kam, einen Rat mitgegeben: „Du bringst aber schon wen Normalen heim, oder?“ Der Junior hat seinen Rat beherzigt – und eine Polin geheiratet.

Einen sonderbaren Stein im Brett hatte ich bei der Großmutter. Sie war die Gattin eines illegalen Nazis und hat im hohen Alter voller Schadenfreude gestanden, bei allen Wahlen seit Kriegsende insgeheim die Sozialisten gewählt zu haben. Sonst eher zu raumgreifendem Griesgram neigend, ließ sie sich bei meinem ersten Besuch zu dem Kommentar hinreißen: „Ein feiner Herr.“ Also das hat nun wirklich noch niemand über mich gesagt. Ich habe übrigens Respekt vor Omas Urteil, denn sie verfügt über eine prophetische Gabe. Als sie ihre Enkelin, eine Cousine meiner Freundin, einmal mit einer Puppe spielen sah, die einem afrikanischen Baby nachgebildet war, mahnte sie: „Gebts dem Kind kein Negerpupperl, sonst wird s' noch mal mit einem Neger heimkommen.“ – Die Cousine ist heute mit einem Nigerianer verheiratet und hat zwei Kinder...


Zurück zu meinem Schwager, dem Junior, der „wen Normalen“ geheiratet hat. Bei der Taufe seines ersten Kindes war die anwesende Sippschaft in zwei Lager geteilt: Hier die Geschwister des Vaters samt unnormalem Anhang – alle aus der Kirche ausgetreten –, dort die polnische Verwandtschaft der Mutter, alle katholisch. Obwohl ich in der tief katholischen rheinischen Provinz aufgewachsen bin und als Ministrant so manche Taufe geschaukelt habe, war mir das Ritual inzwischen fremd geworden. Der Pfarrer hielt eine Ansprache über die Erbsünde, und irgendwann muss ihm bewusst geworden sein, dass die Verwandtschaft der Mutter womöglich der deutschen Sprache nicht ganz mächtig sein könnte. Er blickte in die Runde und suchte nach einem Gesicht, dessen Mimik am ehesten verriet, dass es nicht die Bohne von der Botschaft mitbekam. Und der belämmertste Ausdruck war offenbar meiner. Mit besorgter, durchaus freundlicher Miene trat Hochwürden einen Schritt auf mich zu und fragte langsam, gedehnt und überaus artikuliert: „Ver-ste-hen Sie mich?“

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2010)

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