Warum Karl-Markus Gauß nur manche Deutschen mag

Karl-Markus Gauß mag die Deutschen – zumindest, wenn sie arm und versprengt in Osteuropa leben. Aber wehe, sie sind wohlhabend und kommen aus dem Westen...

Die Sprache des Karl-Markus Gauß ist klar, anschaulich und erfrischend fern von jedem modischen Zeitgeist.“ Das Loblied stammt von mir, aus einer Rezension von Gaußens schönem Buch über „Die versprengten Deutschen“ in Osteuropa (Zsolnay Verlag). Ich zitiere das nur zu gern, denn ich schätze den Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ als klugen und menschenfreundlichen Autor.

Ich erinnere mich noch gut an seinen Artikel über ein damals noch junges Phänomen im Literaturbetrieb: die Popliteraten („Spectrum“, 22. Jänner 2000). Gauß lagen die „properen deutschen Jünglinge“ offenbar sauer im Magen, diese „neuen deutschen Literaturschnösel“ mit ihrer „schlichten Unfähigkeit, noch so etwas zu verfassen wie einen Satz“. Bravo! Ich wollte schon in die Hände klatschen, mit dem wohligen Gefühl, dass da die Richtigen ihr Fett abbekommen. Doch dann kam's, mit Rufzeichen: „Glückliches Deutschland, endlich hast du die literarische Jugend, die dir entspricht und die für dich spricht!“ – Ja, habe die Ehre! Die entsprechen wem? Und wieso endlich? Wer hat denn auf so was gewartet? Also ich nicht. Hat sich womöglich das „glückliche Deutschland“, aus dem ich vor über 20 Jahren aufgebrochen bin, inzwischen in eine Sprach- und Kulturwüste verwandelt, und ich hab nichts davon mitbekommen?


Ich bin einmal zufällig Zeuge geworden, wie Luc Bondy, der Theatergott, auf einem Verlagsfest ein Buch nach Gauß geworfen hat. Gut zehn Meter ist es durch die Luft geflogen, bis es auf dem Tisch landete, an dem Gauß stand. Das fliegende Objekt, ein Journal aus Gaußens Feder, war gerade frisch erschienen. Bondy kam auch darin vor (irgendwer muss es ihm auf dem Fest gesteckt haben), und der Porträtierte fand sein Konterfei offenbar nicht sehr schmeichelhaft. Also ich würde nie ein Buch nach Gauß werfen, nicht einmal einen Artikel. Aber ich bin ja auch kein Schweizer wie Luc Bondy. Die sind ja berüchtigt für ihr cholerisches Temperament, die gönnen ihren Moslems ihre Minarette und ihren deutschen Professoren die Lehrstühle nicht, die werfen bald mal wem was an den Kopf, wenn sie glauben, dass er es endlich verdient hat.

Ich habe einen Plan. Bei nächster Gelegenheit werde ich Gauß auf ein Bier einladen, nein, auf einen Veltliner. Dann werde ich ihn in ein Gespräch über Popliteratur verwickeln und ihm schließlich seinen Satz vorlesen, den mit dem glücklichen Deutschland, das jetzt endlich... Und dann werde ich ihn fragen: Guter Gauß, womit haben wir denn das verdient? Ich möchte einfach meinen leisen Verdacht loswerden, dass Gauß die Deutschen nur dann mag, wenn sie letzte Mohikaner ihrer Art sind, arm, gefährdet und versprengt in den Weiten Osteuropas.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.