Córdoba? Vergesst es!

Mit einem solchen Mythos wären Dänemark oder Griechenland nie Europameister geworden.

Den 7. Juli 1974, einen Sonntag, habe ich in lebhafter Erinnerung. Das rheinische Kaff, aus dem ich stamme, stand Kopf, erwachsene Männer lagen sich in den Armen. Das legendäre Team mit Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier im Tor hatte die Niederlande besiegt. Deutschland war Fußballweltmeister. Den 21. Juni 1978, einen Mittwoch, habe ich in gar keiner Erinnerung. Doch wo früher eine Lücke war, prangt nun seit 20 Jahren ein Wunder: das von Córdoba. „3:2 – der größte Sieg aller Zeiten“ hatte die „Krone“ damals getitelt, ein drei Meter großes Faksimile des Covers stand 2007 beim „Tag des Sports“ auf dem Wiener Heldenplatz.

Gut erinnere ich mich an meine Verblüffung, als ich erfuhr, dass die Österreicher mit diesem Sieg nicht einmal eine Runde weitergekommen sind. Und doch feiern sie ihn wie andere einen Titelgewinn. Gut, man hat die Deutschen geschlagen, den amtierenden Weltmeister, zum ersten Mal seit 47 Jahren. Das ist schon ein paar Sektkorken wert. Aber warum wurde daraus ein nationaler Mythos?

Kürzlich hat mir ein Freund was Nettes geschenkt: eine Nachbildung vom Dress des Córdoba-Teams. Das gibt's für 1,99 € beim Discounter, beigelegt ein Zettel, auf dem das Wunder mit entwaffnender Ehrlichkeit gepriesen wird: „Österreich schrieb mit dem Wunder von Córdoba bei der WM 1978 Fußballgeschichte. Der amtierende Fußballweltmeister, (West-)Deutschland, unterlag der österreichischen Nationalmannschaft mit 2:3 und schied vorzeitig aus.“ Aha. Das Wunder war also vor allem das blaue des Gegners. Wer immer es vollbracht hat, er hatte Sinn für Gehässigkeit: Wir zwar nicht, ihr aber auch nicht!


Noch eine Erinnerung: EM 2008, ein Kaffeehaus in der Josefstadt, im Fernsehraum beginnt das Finale, Deutschland gegen Spanien. Beim Erklingen der Haydn-Hymne schreit ein Mann mit erhobenem Mittelfinger den Bildschirm an: „Ich scheiß auf euchPiefkes!“ Groß ist es, das Fußballherz der Österreicher, es schlägt für viele Mannschaften – solange sie gegen die Richtigen spielen. Nun hat ein launisch Los die Österreicher und die Deutschen in eine EM-Qualifikationsgruppe verschlagen. Córdoba-Rufe werden laut. Ich kann's nicht mehr hören, das hat doch schon bei der EM in Österreich nichts gebracht! Der „größte Sieg aller Zeiten“ ist einfach nicht zu toppen. Ein wahres Wunder, ein Aufstieg, ein Titelgewinn gar, ist halt mehr als ein Debakel des Gegners, mit dem man gemeinsam heimfährt. Fußballzwerge wie Dänemark oder Griechenland sind Europameister geworden, das wären sie nie, hätten sie sich ähnlich genügsam-missgünstigen Mythen verschrieben. (Selbst der deutsche Goliath hätte mit so was bis heute statt einer Handvoll Titel nur Dutzende Favoriten mit nach Hause genommen.) Darum: Österreich, vergiss Córdoba, pfeif drauf!

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.