Freunde

Es ist ja keineswegs so, dass wir Deutschen in Österreich keine Freunde haben. Auf manche würde man aber lieber verzichten.

Meine Kolumne von vergangener Woche hat einige teils heftige Leserreaktionen ausgelöst. Ich habe in der Glosse zu erklären versucht, warum auffallend viele Deutsche im Ausland ein demonstratives Sich-wie-zu-Hause-Fühlen an den Tag legen und dabei manchmal hart an der Höflichkeitsgrenzeentlangschrammen. Eine unfaire Verallgemeinerung sei das, wurde mir in den meisten Leserbriefen vorgeworfen. Ein bekennender österreichischer Patriot meinte gar: „Ein bisschen mehr Deutschland täte uns nicht nur beim Fußball gut.“

Ich gestehe: Zu sehen, wie sich empörte (österreichische) Leserinnen und Leser vor meine Landsleute stellen, hat mich zunächst verblüfft, dann gefreut. Schön, dass nicht alle in den Chor jener einstimmen, die sich gern mal eine Verschnaufpause von der politischen Korrektheit gönnen, sobald es gegen die Piefkes geht.


Leider haben wir Deutschen nicht nur solche Freunde. Vergangenen Sommer habe ich auf dem Meiselmarkt im 15.Wiener Bezirk mein Fahrrad repariert. Ein kleiner Junge, vielleicht acht oder neun Jahre alt, hat mir dabei zugesehen. Nach einer Weile fragte er, ob er mir helfen könne. Wir kamen ins Gespräch, und auf meine Frage, ob er in Wien aufgewachsen sei, meinte der Junge nach kurzem Zögern: „Ich bin ein deutscher Wiener.“

Kurz darauf trat ein Mann zu uns, offenbar der Vater des Jungen, der bis dahin in einem Gasthaus gesessen und den Vormittag mit weißen Spritzern eingeläutet hatte. Er wollte wissen, was wir da trieben. Ich erklärte es ihm, und seine Miene hellte sich auf. Zuerst dachte ich, er freue sich, weil ich mich mit seinem Sohn beschäftigte, doch die Freude hatte andere Quellen: „Du kommst aus Deutschland.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er erzählte, dass er schon oft „draußen“ gewesen sei, auf Montage, und dass er es immer „klass“ gefunden habe. Ich fragte ihn – um irgendetwas zu fragen –, wie sein Junge heiße. „Reinhard“, sagte er, und dann, einen Schritt näher tretend, im vertraulichen Ton: „Wie der Heydrich.“

Ich überlegte kurz, was ich sagen sollte, während ich hastig mein Werkzeug zusammenpackte. Schließlich gab ich einem heftigen Nichts-wie-weg-Impuls nach. Ich drehte noch ein paar Runden über den Platz, und als ich wieder an dem Gasthaus vorbeifuhr, sah ich durch die offene Tür den kleinen Reinhard beim Tresen stehen. Ich winkte ihm zu, dann erst bemerkte ich seinen Vater. Er stand hinter dem Jungen und deutete meinen Gruß auf seine Art. Entschlossen blickte er in meine Richtung, nahm Haltung an und streckte seinen Arm aus, den rechten. Ich duckte mich instinktiv und trat in die Pedale. Seither habe ich ein Bild vor Augen: das schüchtern winkende Kind und dahinter der Vater mit dem stramm ausgestreckten Arm.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2010)

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