"Diese Deutschen" - ja gibt es die denn?

Über eine Begegnung mit einem Österreicher, der diese Frage mit Vehemenz beantwortet hat.

Wenn ich behaupten würde, die Österreicher hätten ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, eine ausgeprägte Konfliktkultur und überdies Talent für Fußball, was würden Sie denken? No na! Oder: Na nu? So oder so – willkommen in der Pauschalisierungsfalle.

„Die Österreicher“ – ja gibt es die denn? Mich haben ja schon einige Leserbriefschreiber gewarnt vor solchen Behauptungen. Ja eh. Man steckt da ja auch schnell mit einem Fuß im Klischeetopf und mit dem anderen im Fettnapf. Nur: Würde ich konsequent darauf verzichten, die Österreicher mit diesen Deutschen zu ärgern und umgekehrt, dann dürfte in dieser Kolumne kein einziges Mal das Wort Mentalität vorkommen. Dabei ist Mentalitätsforschung eine wissenschaftliche Disziplin. Und Hand aufs Herz: Jeder, der ein fremdes Land bereist, nimmt ein Bild mit von „den Menschen“, die dort leben. Wir kommen ohne solche Bilder gar nicht aus. Und gäbe es diesen kleinkarierten Nationalismus nicht, man könnte nach Lust und Laune blättern im bunten Bilderbuch. Denn die Welt wäre so unendlich viel enger und ärmer, wären wir nur geprägt von Sippe, Clan und Grätzel.


Das ist jetzt eine gute Gelegenheit zu erzählen, wie ich auf den Glossentitel „Diese Deutschen“ gekommen bin. Er verdankt sich einer Zugfahrt von Wien aufs Land. Der Zug ist voll, und ich habe die Wahl: entweder stehen bis Wiener Neustadt oder irgendwo dazusetzen. In einem Großraumwaggon wähle ich den nächstbesten freien Platz in einer Vierergruppe, neben einer Frau, gegenüber sitzen Mann und Tochter. Nun ist so etwas für alle Beteiligten lästig, da müssen Jacken und Gepäck verräumt werden, und schließlich darf man wildfremden Menschen beim Gähnen auf die Mandeln schauen.

Mir gegenüber sitzt der Familienvater, seine Füße stoßen an meine – oder meine an seine. Er hat einen säuerlichen Zug um den Mund, keine Ahnung, ob er den immer hat oder nur jetzt, als Folge der Beengtheit. Er seufzt genervt und streckt mit einem theatralischen Ruck die Beine in den Gang. Dann springt er plötzlich auf, packt sein Zeug zusammen und bläst für Frau und Kind zum Aufbruch. Bereits im Gang, dreht er sich noch einmal um und ruft: „Immer diese Deutschen!“

Nun sieht man mir im Gegensatz zu meinen Mitbürgern aus Anatolien oder Angola den Migrationshintergrund nicht so ohne Weiteres an. Ich muss mich also akustisch verraten haben. Dabei ist mein Deutsch nach all den Jahren in hiesigen Sprachgefilden längst viel zu weichgewienert für so kantige Visitkarten wie: „Tschuldjung, hamse noch'n Platz frei?“ Aber ein paar Worte haben gereicht, sie reichen immer. Und die drei Worte meines Gegenübers haben mir gereicht. Nicht zuletzt für den Titel einer Kolumne.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.