Steuerhinterziehung

Warum mein Vater glaubte, Steuerhinterziehung werde schlimmer bestraft als Mord. Und was man darüber hierzulande so denkt.

Mein Vater hat mir eine Lebensweisheit mit auf den Weg gegeben: „Leg dich nie mit dem Finanzamt an! Wenn die dich bei was erwischen, wird das schlimmer bestraft als Mord.“ Seine Sorge verrät – abgesehen von einer etwas seltsamen Sicht auf den Staat und seine Prioritäten – einen enormen Respekt vor Gesetz und Behörde. Es ist ja viel gespottet worden über den deutschen Untertanengeist und über den pedantischen Spießer mit all seinen Normen. Kaum zu glauben, dass diese Mentalität einst einen enormen Fortschritt, ja eine Revolution in der Menschheitsgeschichte bewirkt hat.

Die Wurzeln dafür gehen, wie so vieles, auf Luther und die Folgen zurück. Die Aushebelung der katholischen Kirche als vermittelnder Instanz zwischen Gott und dem allzu Menschlichen hatte epochale Auswirkungen. Plötzlich stand der Mensch allein da mit seiner Bibel und ihren Geboten. Was tun, wie nach ihnen leben? Den kühnen nächsten Schritt, sich ohne Amtskirche die Gesetze selbst zu geben, und zwar mit der gleichen Verbindlichkeit, als kämen sie von ganz oben, wagte die Aufklärung. Die hat allerdings in Österreich fast so bescheidene Früchte getragen wie die Reformation.

Wenn in Deutschland die Bundesverfassungsrichter in ihren roten Roben auftreten, um ihr Urteil zu verkünden, dann hält das Land den Atem an, als würde Moses ein neues Gebot unter die Leute bringen. Unvorstellbar, dass ein Politiker oder gar ein Bundesland einen solchen Spruch einfach ignorieren könnte! Eine veritable Staatskrise wäre die Folge.


Dass mein Vater glaubte, der Staat ahnde Steuersünden strenger als Mord, ist nur einer globalen Ideologie geschuldet, die anstelle des Göttlichen nur noch den Götzen Geld am Werk sieht. Gleichzeitig muss man bedenken, dass mein Vater kein Protestant, sondern ein Kind des katholischen Rheinlands war, wo man dem preußischen Glauben ans weltliche Recht immer noch mit einer Spur Restskepsis begegnet. Jedoch längst nicht mit jenem Argwohn wie hierzulande, wo man bekanntlich „kan Richter brauchen wird“, solange man's sich richten kann. Wie folgenreich eine solche Mischung aus Selbstherrlichkeit und Unschuldsmiene sein kann, haben die jüngst ans Licht gekommenen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gezeigt. Hier wurde jahrzehntelang versucht, die Täter dem Zugriff der weltlichen Justiz zu entziehen.

Macht man Ernst mit dem aufgeklärten Glauben an die Verbindlichkeit des weltlichen Rechts, dann gilt das Gesetz für den Untertanen ebenso wie für den Herrscher – oder für den Politiker, der unter Korruptionsverdacht steht. Gibt es angesichts der aktuellen Sümpfe noch irgendjemanden, der allen Ernstes daran glaubt, dass dieser Gleichheitsgrundsatz in Österreichs real existierender Justiz angekommen ist? Zeit wäre es.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2010)

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