Denkwürdige Begegnungen

Sind die Deutschen zu spröde, um den Wiener Charme zu verstehen? Über zwei denkwürdige Begegnungen rund um den Opernball.

Ein Freund von mir, ein Wiener, hat einige Jahre in Frankfurt gelebt. Auf meine Frage, wie es ihm dort ergangen sei, meinte er spontan: „Ich hab mich noch nie so oft durchschaut gefühlt.“ Nun ist mein Freund ein Mensch, dem man nachgesagt, er verfüge über eine gehörige Portion Charme. Haben die Frankfurter keinen Sinn fürs Charmante? Und was ist das überhaupt, Charme?

„Gewinnendes Wesen, Anziehungskraft, Liebreiz“ – so definiert der Brockhaus das schillernde Wort, das seine Wurzel im lateinischen „carmen“ hat (Gesang, Zauberformel). Hier wird die Janusköpfigkeit des Charmes sichtbar. Er ist eine Mischung aus dem, was man hat, und dem, was man erzeugt, ein subtiler Grenzgang zwischen einer Gabe und einer Attitüde. Durchschaut hat sich mein Freund deshalb gefühlt, weil er hin und wieder beim Versuch, zu (be)zaubern, ertappt wurde. Meine Landsleute, vor allem die als spröde geltenden Norddeutschen, riechen rasch Lunte, wenn das Parfum aus Herrn Kaisers neuen Kleidern strömt und das Gewollte im Charme allzu spürbar wird.


Vor Jahren, als der Wiener Opernball noch von Protesten begleitet war, hat der ORF einmal einen „Club 2“ zum Ball veranstaltet. Die Hälfte der Teilnehmer kam frisch von der Demonstration, die andere aus der Oper. Unter den Gästen war auch Jutta Ditfurth, damals eine Galionsfigur der „Fundi-Fraktion“ bei den deutschen Grünen. Neben ihr saß ein Wiener im Frack, der irgendwann dem ganzen Gezänk mit etwas begegnen wollte, was er für eine charmante Geste hielt. Mit dem Credo, im Grunde liebten wir doch alle das Vergnügen, legte er seiner Nachbarin honigsüß lächelnd die Hand auf den Arm. Das hätte er besser gelassen. Jutta Ditfurth musterte ihn kurz und sagte: „Sie betatschen mich.“ Der Charmeur zog rasch das Patschhändchen von der Herdplatte und nannte seine Nachbarin fortan nur noch „diese... diese Dame“.

Beim Opernball des Jahres 1999 gab es eine nicht minder schwere Bewährungsprobe für den österreichischen Charme. Der deutsche Entertainer Hape Kerkeling zog vor laufender Kamera gemeinsam mit einem Farbigen, der zum Frack ein afrikanisches Käppi trug, durch das Ballgetümmel. Als er auf die damalige Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner traf, stellte Kerkeling ihr seinen Begleiter vor: „Albert Azubi Watanabe, stellvertretender Kultusminister von Botswana.“ Ferrero-Waldner setzte ihr legendäres Lächeln auf und hieß den Gast (der in Wirklichkeit ein Schauspieler war) auf Herzlichste willkommen. Der erwiderte mit schwerem Akzent und leicht anzüglichem Blick: „Ich suche eine Frau.“ Und ohne den geringsten Riss in ihrem Lächeln antwortete die Staatssekretärin: „Sie werden hier viele schöne Frauen finden.“ Also die Ditfurth hätte ihm sicher eine geschmiert.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2011)

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