Schrank, nicht Kasten!

Wie ich in einem Wiener Verlag sämtliche österreichischen Wörter in bundesdeutsche umwandeln musste.

Die ersten Brötchen habe ich mir bei einem Wiener Wirtschaftsverlag verdient. Meine Aufgabe bestand unter anderem darin, Bücher österreichischer Autoren von allem zu befreien, was sprachlich irgendwie an Österreich erinnerte. Der Verlag machte seinen Hauptumsatz am deutschen Markt (Korrektur: auf dem deutschen Markt), und er befürchtete, dass seine trendigen Marketingbücher ansonsten einen provinziellen Touch bekommen hätten. Außerdem wollte man Missverständnisse vermeiden: Bei uns befüllt man einen Kasten nun einmal mit Werkzeug oder Bier und nicht mit Hosen.

Als ich dann das erste Lektorat für einen österreichischen Literaturverlag übernahm, erkundigte ich mich vorsichtshalber, ob dieser Piefke-Filter ebenfalls erwünscht sei. Na, mehr hab ich nicht gebraucht. Man sei ein österreichischer Verlag!

Wie halten es aber die Schriftsteller mit dieser Gretchenfrage? Über Thomas Bernhard wird kolportiert, dass er seine Manuskripte so spät wie möglich beim Suhrkamp-Verlag ablieferte, damit sein Lektor gar nicht erst auf die Idee kommen konnte, aus einem Kasten einen Schrank zu zimmern.

Aber nicht alle sehen es so, wie eine Umfrage des Linguisten Peter Wiesinger unter österreichischen Autoren und Autorinnen gezeigt hat. Einige, wie etwa Barbara Frischmuth, verwenden bewusst österreichische Ausdrücke; Friederike Mayröcker hingegen vermeidet sie und benutzt sie nur, um österreichische Personen zu charakterisieren. Gernot Wolfgruber wiederum wählt seine Worte intuitiv, ohne über ihre Herkunft nachzudenken. Eine Reihe von Autoren haben die Auskunft verweigert.


Seit Jahren betreue ich nun im „Spectrum“ der „Presse“ eine Seite mit literarischen Neuerscheinungen aus Österreich. Und ich habe nicht den Eindruck, dass solche Sprachquerelen bei den jungen Autoren noch eine große Rolle spielen. Wozu auch? Die rund 7000 Austriazismen – also die österreichischen Varianten der deutschen Schriftsprache – machen gerade einmal drei Prozent des Gesamtwortschatzes aus. Der läppische Rest von 97 Prozent hat doch wohl etwas mehr dazu beigetragen, dass dieses kleine Land so erstaunlich viele Literaten von Weltrang hervorgebracht hat.

Wie oft habe ich schon die Klage gehört, dass Österreichs sprachliche Identität gefährdet sei. Kein Wunder, wenn man sie an einem so kleinen Segment der Schriftsprache festmacht. Die wunderbar bunten Sprachwelten, die uns trennen, blühen doch weit mehr in der vitalen Praxis der gesprochenen Dialekte, in deren Eigenart, Klang und Poesie. Dass diese Farbvielfalt in unserer alles nivellierenden Medienwelt zu verblassen beginnt, ist in der Tat ein Verlust, der ein Land ins sprachliche Mark trifft – jedes Land übrigens, auch das meine. Doch beim Verlieren ist Österreich gern alleine.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2011)

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