Die Krux mit dem Patriotismus, Teil 2

Warum die Unterscheidung zwischen Nationalisten und Patrioten nichts als Schwindel ist.

Was ist das eigentlich, Patriotismus? Das „Deutsche Wörterbuch“ von Gerhard Wahrig definiert ihn als „Vaterlandsliebe“, das „Österreichische Wörterbuch“ setzt noch eins drauf: „starke Vaterlandsliebe“ (als sei der Begriff an sich nicht schon starker Tobak). Vater, Land und Liebe – das führt tief hinein in ein hoch emotionales Feld, in die Gefilde der Kindheit, wo einem nichts anderes übrig blieb, als seinen Vater zu lieben, so wie man sich das Land nicht aussuchen konnte, in das man hineingeboren wurde. Erwachsenwerden bedeutet, diese Liebe mit der Realität in Einklang zu bringen, nicht an der Einsicht irre zu werden, dass der eigene Vater womöglich doch nicht der stärkste, beste und gütigste aller Väter ist. Gelingt das nicht, bleibt man ewig im Zustand kindlicher Idealisierung.

Patriotismus, der nicht aus dieser Kindlichkeit hinausgekommen ist, nennt man Nationalismus. Das hat man mir zumindest in der Schule beigebracht. Ich glaube bis heute nicht an die Haltbarkeit dieser Unterscheidung, sie ist eine Illusion, ein Selbstbetrug: Böse Nationalisten sind immer die anderen, man selbst ist immer nur ein guter Patriot.

Eine Langzeitstudie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld hat gezeigt: Je stärker das Bekenntnis zum eigenen Land, desto anfälliger ist man für die Ablehnung des Fremden, für Feindlichkeit gegen „die anderen“, gegen Ausländer, Muslime, Frauen, Obdachlose oder Hartz-IV-Empfänger. Eine Untersuchung der Universität Marburg kommt zu einem ganz ähnlichen Ergebnis.

Wie viele Angehörige meiner Generation bin ich mit einem ziemlichen Argwohn gegen alles Patriotische ausgestattet worden. Es ist viel gelästert worden über diesen zerknirschten Umgang mit sich selbst, aber ohne dieses Erbe wäre Deutschland nie ein Motor im Prozess der europäischen Einigung geworden. Umso irritierter war ich, als ich 1988 nach Österreich kam und bemerkte, wie leicht hier ein patriotisches Bekenntnis über die Lippen kommt und wie schnell die „starke Vaterlandsliebe“ ins Pubertäre kippt, mit all seinem „Jetzt erst recht“ und „Österreich zuerst“. Es liegt etwas Unaufgeklärt-Narzisstisches über dieser Haltung; wo sie herrscht, ist der „Nestbeschmutzer“ nicht weit, jenes widerliche Kampfwort, das sich stets selbst entlarvt: Das Nest seht ebenso fürs Kuschelige wie für die beklemmende Enge eines Kaffs.

Sich die eigenen Wurzeln bewusst zu machen kann durchaus ein Prozess der Aufklärung sein. Aber wer sich zu oft in Nabelschau ergeht, der hält das, was er da sieht, irgendwann für den Nabel der Welt. Und um dem zu entgehen, verordne ich jetzt mir und dieser Kolumne einen dreiwöchigen, garantiert nabelfreien Urlaub.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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