Alles "doof"?

Von gedämpften Gedanken, tauben Nüssen und komödiantischen Genies. Ein Plädoyer für das schillernde Wörtchen »doof«.

Ein Wiener Freund hat mir gestanden, er mag das Wort „doof“. Ich war überrascht, gilt das Schmähwörtchen doch als ur- und erzbundesdeutsch. Aber der Freund hat einige Jahre in Frankfurt gelebt, und dort habe er bemerkt, dass das Wort einen eigenen Reiz hat. In den Genuss dieses Reizes ist auch meine Frau bei einem Besuch in meinem Heimatdorf gekommen. Bei einem typisch deutschen Straßenfest mit Grillwürstchen und Fassbier saß unsere betagte Nachbarin neben uns und sagte fortwährend: „Mein Mann, der ist ja so was von doof.“ Meine Frau war irritiert über die Urteilsfreudigkeit der alten Dame, zumal deren noch betagterer Gatte uns gegenüber saß und in der Tat ein wenig einfältig vor sich hin lächelte. Was meine Frau nicht wusste, war, dass „doof“ im Niederdeutschen auch „schwerhörig“ bedeutet.

Das Wahrig-Wörterbuch definiert „doof“ als „dumm, töricht, einfältig, langweilig“, doch die Doofheit hat noch einen Bedeutungsaspekt, der den angeführten Synonymen nicht eignet. Die niederdeutsche Nebenbedeutung weist die Richtung: Wer nichts hört, bekommt nichts mit und kann, sofern er noch am geselligen Treiben teilhaben will, allenfalls treudoofe Miene zum traurigen Spiel machen. Und so wie der Taube an einem Schalldämpfer laboriert, ist der Doofe durch einen Gedankendämpfer gegen die Außenwelt abgeschottet.

Jemanden als doof zu bezeichnen ist eine sanftere Schmähung, als ihn dumm, dämlich oder deppert zu schimpfen. Wer doof ist, für den gelten mildernde Umstände.


Es war gewiss eine Barbarei der deutschen Filmwirtschaft, die Jahrhundertkomiker Laurel und Hardy „Dick und Doof“ zu taufen. Und doch trifft es auch hier etwas. Das komödiantische Genie des Stan Laurel beruhte nicht zuletzt auf der Fähigkeit, eine Figur zu verkörpern, die wunderbar innig in der Watte ihrer eigenen Beschränktheit ruht.

Ein echtes österreichisches Pendant zu „doof“ gibt es nach meinem Sprachgefühl nicht. Mit dem Wort „terisch“ hat es zwar eine ähnliche Bewandtnis, es ist sprachgeschichtlich mit „töricht“ verwandt, doch seine kognitive Dimension hat es verloren. Wer terisch ist, bei dem hapert's nur noch am Hör-, nicht am Scharfsinn. (Kein Wunder: Wer hierorts einem Gespräch nicht folgt, fällt längst nicht so rasch auf wie in meinem Heimatland, dem Dorado der permanenten Hochleistungskommunikation.) Auf die umgangssprachliche Logik, dass ein tauber Mensch zugleich eine taube Nuss ist, darauf konnten nur die Deutschen verfallen.

Wenn man deutsche Talkshows mit österreichischen vergleicht, meinte mein Wiener Freund, dann hat man oft den Eindruck, den Österreichern falle es schwer, etwas zu sagen, den Deutschen hingegen, nichts zu sagen.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2011)

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