Von Problembären und Neidhammeln

Oder: Wie der Protest meiner Frau dazu führte, dass eine meiner Kolumnen im Papierkorb landete.

Vor einigen Wochen habe ich hier die Frage gestellt, warum die Deutschen oft so erstaunlich unsensibel sind, wenn es um die Leistung der Österreicher geht. Der Anlass dafür war ein Buch mit dem Titel „Deutschland erzählt – von Rilke bis Handke“. Warum ein deutscher Verlag sein Deutschland plötzlich bis Prag und Kärnten reichen lässt, dafür hatte ich in einer ersten Version meiner Kolumne eine flotte Erklärung parat: „Deutschland erzählt“ klingt einfach griffiger als etwa „Deutschsprachige Erzählkunst“, und wen interessieren schon die Empfindlichkeiten eines Nachbarlandes, wenn's ums Marketing geht?

Als meine Frau dann meinen Entwurf gelesen hat, meinte sie: „Hätten sich die Österreicher etwas Vergleichbares geleistet, hättest du sie nie so billig davonkommen lassen.“ Recht hatte sie, und die Kolumne landete im Papierkorb.

Steckt wirklich noch so viel Patriotismus in mir, dass ich meinem Heimatland mehr moralischen Kredit einräume als meiner Wahlheimat? Wenn ja, dann finde ich das bedenklich. Zur Verteidigung kann ich nur sagen, dass der hierorts so liebevoll gehegte Komplex gegenüber dem großen Bruder offenbar auch in mir seltsame Reflexe auslöst.
Das Tückische an einem solchen Bruderzwist ist, dass der Große es so unendlich leicht hat, den Kleinen als Problembärchen dastehen zu lassen. Denn die Symptome des Neids, von der wehleidigen Hysterie bis zum lautstarken Brustgetrommel, sind ja so viel auffälliger als all die kleinen Bosheiten, die dem Beneideten zu Gebote stehen, um den Neidhammel auf Betriebstemperatur zu halten.

Auf ein Paradebeispiel für eine solche Bosheit bin ich bei meinen Recherchen über Bruno Kreisky gestoßen. Als man im Vorjahr Kreiskys 100. Geburtstag feierte, hat Joachim Riedl, der Leiter des Österreich-Teils der „Zeit“, den deutschen Ex-Kanzler Helmut Schmidt gefragt, wie er seinen einstigen Amtskollegen erlebt habe. „Bis auf einige Scharmützel über unwichtige Dinge“, so Schmidt, „war das Verhältnis sehr freundnachbarlich. Infolgedessen nicht wichtig. Es hat mich nicht besonders interessieren müssen.“

„Und dann sieht man nicht so genau hin?“, hat Riedl nachgehakt, schließlich werde Kreisky in Österreich als der „wahrscheinlich bedeutendste Politiker der Zweiten Republik“ gefeiert. Schmidt: „Warum soll man hingucken? Österreich war ein angenehmer Nachbar.“
Gibt es ein besseres Mittel, den kleinen Bruder klein zu halten, als nicht hinzugucken, wenn ihm etwas glückt? Es gehört schon ein erstaunliches Maß an Ignoranz dazu, ausgerechnet diesem Parteifreund und langjährigen Amtskollegen nicht zuzugestehen, welch enormen Beitrag er für die Modernisierung seines Landes geleistet hat.

dietmar.krug@diepresse.com

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