Rheinisch und Wienerisch rede ich nur im Modus der Parodie

Erstaunlich ist, wie unterschiedlich meine Rollen dabei ausfallen.

Meine Großmutter, Jahrgang 1899 und Zeit ihres Lebens nie aus dem Rheinland hinausgekommen, hat einmal in meinem Beisein die Welt nicht mehr verstanden. Sie hatte ein vielleicht 16-jähriges Mädchen beobachtet, wie es in Gegenwart der Eltern rauchte, und Oma meinte kopfschüttelnd: „Dat dat dat daaf!“ (Hochdeutsch: „Dassdie das darf!“) Klanglich darf man sich ihren Ausruf nicht etwa wie das Schicksalsmotiv aus Beethovens Fünfter vorstellen, mit dem dreimaligen Pochen in gleicher Tonhöhe und finalem Schicksalsschlag eine Etage tiefer. Eher schon wie ein träges Hin und Her zwischen den drei „Dats“ mit einem zähflüssigen Abwärtsglissando am Ende („da-af“).

Der Kölner Heinrich Böll hat den rheinischen Tonfall als „vollkommen unmartialische Sprache“ bezeichnet, „der das R fehlt, genau der Laut, auf dem die militärische Disziplin hauptsächlich beruht“. Umso erstaunter war ich, als ich erstmals eine Rede von Joseph Goebbels hörte. Der aus dem Rheinland stammende NS-Propagandaminister hatte einen ausgeprägten rheinischen Singsang, und dieser Klang schien mir so gar nicht zu dem Gift zu passen, das Goebbels da verbreitete.

Es liegt etwas ausgesprochen Bieder-Leutseliges über dem rheinischem Tonfall. Das wusste auch Konrad Adenauer nur zu gut, der seine schwere Kölner Sprachfärbung immer wieder dazu nutzte, um seine beinharte Machtpolitik zu tarnen.


Ich bin in der glücklichen Lage, mit zwei Dialekten vertraut zu sein, mit dem rheinischen, weil er meine Mutter-, genauer: meine Vatersprache ist, und mit dem wienerischen, von dem ich seit zwei Jahrzehnten umgeben bin. Ja, an guten Tagen bekomme ich auch einen halbwegs passablen Wiener hin, na ja, zumindest für die Ohren meiner Landsleute, ein echter Wiener hört sofort das Unauthentische.

Die beiden Dialekte verwende ich aber ausschließlich im Modus der Parodie. Auch ins Rheinische verfalle ich nur noch, wenn ich mit einem alten Freund herumalbere, einem Musiker und Bauernsohn aus meiner Heimatregion. Parodieren heißt aber zwangsläufig, eine Rolle einzunehmen. Und das Interessante ist, wie unterschiedlich meine Rollen ausfallen, je nachdem, ob ich einen Rheinländer oder einen Wiener gebe.

Rede ich Rheinisch, dann beginnen meine Sätze meist mit „Wat?“, und es spricht ein begriffsstutziger Mensch, der wortreich die Langsamkeit des eigenen Denkens auskostet. Gebe ich indes die radebrechende Parodie eines Wieners, dann beginnt meine Rede entweder mit „Heast!“ oder mit „Eh kloa“, und es tritt ein Zeitgenosse auf, der es spürbar genießt, dass ihn alles oder nichts mehr erschüttert. Denn gegen die Zumutungen des Lebens ist er gleich doppelt geimpft – mit universaler Gereiztheit und mit Breitbandphlegma.

dietmar.krug@diepresse.com

DiePresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)

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