Verhaberung, Klüngel und Amigo-Affären

Was haben Österreicher, Rheinländer und Bayern gemeinsam? Verhaberung, Klüngel und Amigo-Affären. Und sonst?

Wenn ich plötzlich einen Landsmann mit norddeutscher Sprachfärbung reden höre, dann fühle ich mich bisweilen, als hätte jemand überraschend ein Fenster geöffnet und frischen Wind hereingelassen. Nun sind kühle Böen besonders angenehm, wenn es heiß und stickig ist. Herrscht hingegen nasskalte Witterung, sucht man sich solche Winde tunlich vom Leib zu halten.

Auf das ungewohnt Frisch-Forsche des norddeutschen Klangs reagieren meine Ohren durchaus zwiespältig. Zum einen, weil sich längst eine Schicht rot-weiß-roten Schmalzes in ihnen abgesetzt hat, und zum anderen, weil die Lauscher eines Rheinländers von Natur aus eher auf die schweren, trägen Klänge geeicht sind. Wenn ich den Sprachklang eines Hamburgers oder Hannoveraners mit einem Duft assoziieren müsste, dann fiele mir spontan ein: Zitrone – in der charmanten Version als Hauch aus einem frischen Sorbet, in der plumpen Variante als Arom eines Putzmittels.

Der Rheinländer besitzt ein schönes Wort für das Biotop, in dem sich seine Redeweise geformt hat: „Klöngel“. „Klüngel“ ist ein westmitteldeutsches Wort, es bedeutet „Knäuel“ und war bereits im zwölften Jahrhundert besonders in Köln gebräuchlich. Was seine Verbreitung betrifft, wird das Wort als peripher eingestuft, das heißt, ein allgemeines Verständnis im deutschen Sprachraum kann nicht vorausgesetzt werden. In die jüngeren Ausgaben des „Österreichischen Wörterbuchs“ wurde es aufgenommen, aber ich wage die Prognose, dass es nie jenen geschichtsträchtigen Begriff verdrängen wird, den die Wiener für die ihnen ach so vertraute Filzokratie erfunden haben, die „Verhaberung“.


Auch die Bayern sind mit dem Phänomen auf ihre eigene, deftige Art vertraut. 1993 begrüßte der bayrische Ministerpräsident Max Streibl in seiner Aschermittwochsrede die Parteifreunde mit den denkwürdigen Worten: „Saludos Amigos.“ Damit wollte er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, er habe einen befreundeten Industriellen begünstigt und dafür Gegenleistungen erhalten, ins Lächerliche ziehen. „Freunde zu haben, ist das eine Schande bei uns in der CSU?“, fuhr er fort und musste bald darauf zurücktreten. Die Angelegenheit ist als „Amigo-Affäre“ in die Annalen eingegangen.

Nun sind Filz und Vetternwirtschaft zweifellos planetare Phänomene, aber wenn sich in gewissen Regionen dafür eigene Wörter und spezifische Extremformen des Unrechtsbewusstseins herausbilden, dann bedeutet das etwas. Eines jedenfalls haben die Rheinländer, die Bayern und die Österreicher gemeinsam: Sie sind tief katholisch geprägt. Und in dieser Kirche erfolgt die Verwaltung des Irdischen und allzu Menschlichen weiß Gott seit jeher gut verborgen in den Weihrauchschwaden der größtmöglichen Intransparenz.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2012)

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