Deutsche Standardsprache

Über Maria Theresia und den Alten Fritz, Teil 3.

Im Februar 1768 erhielt Maria Theresia am Abend in der Hofburg eine frohe Botschaft: Der Herrgott hatte ihrem Zweitgeborenen, Erzherzog Leopold, einen Sohn geschenkt – und ihr das erste Enkelkind. Die Kaiserin, damals schon erheblich beleibt, stürmte durch einen Verbindungsgang in ihre Loge des alten Burgtheaters und jubelte mitten in die Aufführung einer Komödie hinein: „Kinder, mei Poidl hat an Buam kriagt!“

Maria Theresia beherrschte die Sprachen, die sie zum Regieren ihres Vielvölkerstaates brauchte: Französisch, Spanisch, Italienisch, Latein (die Amtssprache im Königreich Ungarn) – und natürlich Deutsch, das sprach sie meist im Wiener Dialekt.

Zu einer Ansprache der Kaiserin im Niederösterreichischen Landtag war einmal der berühmte Literaturpapst und Sprachreformer Johann Christoph Gottsched aus Leipzig angereist. Nach der Rede wurde er von der Kaiserin empfangen, und er beteuerte, ihr sei wie „einer Göttin der Beredsamkeit“ ein makelloses Deutsch von den Lippen geflossen. Doch die Habsburgerin ging dem Schmeichler nicht auf den Leim und entschuldigte sich gar bei ihrem Gast: „Wir Österreicher haben eine sehr schlechte Sprache.“


Es war die Zeit, in der sich eine überregionale deutsche Schriftsprache herausbildete, Gottsched, ein gebürtiger Ostpreuße, hatte einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Der Wiener Hof spielte ebenso wie der gesamte katholisch-süddeutsche Raum bei diesem Prozess keine Hauptrolle. Die Impulse kamen aus dem protestantischen Nord- und Mitteldeutschland, wo die „Schrift“ ein anderes Wort für die Bibel ist und nicht für etwas steht, nach dem man bisweilen widerwillig reden muss.

Der Blick der Literaten richtete sich nach Berlin, wo immerhin ein Schöngeist auf dem Thron saß. Doch Friedrich hatte für das Deutsche, „diese halb barbarische Sprache“, nur Verachtung übrig. Seine erste Auflehnung gegen den geistlos-tyrannischen Vater war eine Hinwendung zur Kultur der Franzosen, so gut wie alle seine Schriften verfasste er in ihrer Sprache. Den Olymp der Literatur sah er in den Werken seines Freundes Voltaire, von seinen deutschen Zeitgenossen wie Lessing, Herder oder Goethe hielt er gar nichts.

Sonst in so vielem auf der Höhe der Zeit, war der Preußenkönig hier eigentümlich ignorant. Ihm entging nicht nur, dass die deutsche Literatur gerade im Begriff war, Weltrang zu erlangen, er übersah auch, dass sie damit zugleich den wichtigsten Beitrag zur deutschen Spracheinigung seit Luthers Bibelübersetzung leistete. So ließ er die Gelegenheit verstreichen, diesen Höhenflug zu nutzen und den Berliner Hof zum sprachlich-literarischen Zentrum Deutschlands zu machen.

Schade für Preußen, nicht aber für die deutsche Sprachwelt in all ihrer Komplexität und Vielfalt.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2012)

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