Emotionstümpel

Von Emotionstümpeln und unvornehmen Körperregionen. Und warum ich beim Fußball ein bekennender Trophäenjäger bin.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, weiß die Welt, ob der deutsche Fußball seine frischen Traumata, das verpatzte Bayern-Finale und die Schmach gegen die Schweiz, weggesteckt hat oder nicht. Eines ist sicher: Ich habe einen aufwühlenden Abend hinter mir. Diese patriotischen Wallungen aus den unaufgeklärten Seelenzonen sind mir einfach nicht auszutreiben.

Fußball ist nicht nur ein Sport für Jung und Alt, sondern auch für Schlicht und Schlau. Ich finde es immer wieder faszinierend, Spiele mit intellektuellen Fans anzuschauen. Da werden Strategien analysiert, Statistiken zitiert, doch spätestens in der zweiten Halbzeit hat das Köpfchen Ferien. Nein, ein echter Fan schöpft nicht aus dem Hirn, sondern aus den unvornehmeren Körperregionen.

Das ist ja an sich nichts Schlechtes. Aufgewachsen in der nicht gerade von südländischer Lebensfreude geprägten deutschen Provinz, waren jubelnde, weinende, sich umarmende Männer für mich ein ungeheures Ausnahmeerlebnis. Wenn sich solche Ventile aber nicht mehr schließen, riskiert man emotionale Inkontinenz. Als ich mich dabei ertappte, wie ich mich – aus Rache für die hiesige Missgunst – über vierte Plätze von österreichischen Ski-Assen zu freuen begann, da dachte ich: Das lass ich jetzt mal lieber nicht ins Kraut schießen.


Emotionen haben immer recht. Es ist doch Ehrensache, gegen eine Mannschaft wie Bayern München zu sein, diese Großkotze und Erzkapitalisten. Schließlich weiß jedes Kind, dass die Guten im Fußball, etwa die Spieler und Manager des FC Barcelona, ihre bescheidenen Gagen der „Occupy Wallstreet“-Bewegung spenden.

Also ich hab beim Bayern-Halbfinale gejubelt, beim Finale gelitten. Das hat mir vonseiten meines Schwagers den Vorwurf eingetragen, ich sei ein „Glory-Hunter“, also jemand, der sein Fußballfähnchen gern in den Siegeswind hängt. Denn was hat ein Rheinländer mit den Bayern am Hut? Der Schwager war da als Steirer und Sturm-Graz-Fan stets konsequenter (dafür viele Jahre lang mit wenig Glorie gesegnet). Seinen Bayern-Hass hat er indes vorübergehend eingemottet, das Alibi heißt Alaba.

In meinem Jugendzimmer hing übrigens lange Zeit ein Wimpel der Borussia Mönchengladbach, eines Vereins, dessen Stadion nur dreißig Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt lag. Okay, ich hätte auch ein Fan des rheinischen FC Köln oder von Fortuna Düsseldorf sein können. Aber die hatten nun mal keinen Günter Netzer; Gladbach war damals einfach unvergleichlich und holte in den Siebzigerjahren ganze fünf Mal den Meistertitel.

Wenn man schon in den Emotionstümpel hechtet, dann möchte man beim Wiederauftauchen wenigstens eine seltene Seerose auf dem verschlammten Haupt haben.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2012)

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