Akif Pirinçci

Ich saß im Zug und konnte das nicht kommen sehen: Der Autor Akif Pirinçci hackt in seinem neuen Buch alles kurz und klein.

Es passieren Dinge im Leben, die sind derart kurios, dass du ein paar Jahre später gar nicht mehr weißt, ob es wirklich passiert ist oder ob dein Einfallsreichtum wieder einmal monströse Dimensionen angenommen hat. Folgende Geschichte ist vor rund zehn Jahren aber wirklich passiert, sonst hätte ich mir die Seitenzahl nicht gemerkt. Ich erfinde nämlich keine Seitenzahlen. Im Zug von Berlin nach Stuttgart also sitzt mir ein Herr gegenüber, der zeitgleich mit mir seine Reiselektüre aus der Tasche zieht. Erst stellt sich heraus, er liest dasselbe Buch wie ich, dann stellt sich heraus, wir sind sogar auf derselben Seite (54)! „Ja, gibt's denn so was?“, ruft mein verblüffter Buch-Bruder in das Abteil hinein, woraufhin alle eine Runde fröhlich lachen, ehe wir dann die gesamte restliche Fahrt kollektiv und wortlos aus dem Fenster starren, vor lauter Verwirrung.

Das Buch hieß jedenfalls „Felidae“ und geschrieben hat es der deutschtürkische Autor Akif Pirinçci. Ein kurzweiliges und witziges Stück über Kater Francis, der als Detektiv Katzenmorde aufklärt. Jetzt ist Pirinçci selbst als Aufklärer unterwegs, und zwar mit seinem neu erschienenen Sachbuch „Deutschland von Sinnen“. Darin – und in verschiedenen Interviews – erklärt er den Lesern, warum Deutschland außer Rand und Band geraten ist: wegen der „Toleranzbesoffenheit“, des Islam, der Grünen („Kindersexpartei“), des steuersaugenden Staates (jede Steuerhinterziehung sei eine Heldentat), der „aggressiven Lesben“ und des „schwulen deutschen Mannes“, dann noch wegen der „linksversifften Presse“, der Soziologieprofessoren, Autorin Sibylle Berg und ein paar anderen Dingen. Eine Lösung ist Pirinçci auch eingefallen: Man möge ein paar Millionen Migranten „ein Ticket spendieren“ und sie schleunigst zurückschicken, „bevor sie uns die Haare vom Kopf fressen“.

Pirinçci hackt also alles kurz und klein, dabei bedient er sich einer obszönen, außerordentlich hässlichen Fäkalsprache. Das Feuilleton nennt ihn den nächsten oder aktuellen Thilo Sarrazin, bemerkt aber auch, dass Sarrazin im Vergleich zu Pirinçci wie ein braver Schulbub daherkommt. „Deutschland von Sinnen“ ist also ein Kassenschlager, denn die Empörung ist groß, die Empörung über die Empörung ebenfalls.

Zum Quadrat. Ich frage mich, was passieren muss, damit sich ein Migrantenkind wie Pirinçci derart panisch und peinlich von anderen Migranten abzugrenzen versucht? Pirinçci will auf Biegen und Brechen ein Deutscher sein. Er will nicht die Integration, er will Integration zum Quadrat mal hundert, und die fordert er mit verbaler Pöbelei.

Ich frage mich auch, wann genau Pirinçci seinen Humor verloren hat. Denn der deutschen „Tageszeitung“ sagt er: „Ich bin ein total lustiger Typ.“ Und: „Ich trage einen großen Penis.“

duygu.oezkan@diepresse.com

diepresse.com/diesetuerken

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2014)

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