Zeit, die Wohnung zu putzen

Urlaubszeit heißt: Zeit, die Wohnung zu putzen. Von langen Zugreisen, wartenden Müttern und Ritualen, die man erst jetzt versteht.

Man fliegt ja heute quer durch die Welt, aber Urlaubszeit heißt für uns doch auch, dass man sich für ein paar Tage daheim blicken lassen sollte, zumal dann die minütlich eintreffenden Anrufe der Mama etwas unter Kontrolle gebracht werden können (Wann kommst du?, Wann kommst du?, Wann kommst du?). Heimfahren! Es gibt nichts Besseres, denn mein Daheim ist das selige Vorarlberg, Land der Makellosen, Hort der Guten, Ort des Lichts, weitab vom Wiener Cäsarenwahn. So setzt man sich also in den Zug, gibt der Mama Bescheid (Wann kommst du an?, Wann kommst du an?, Wann kommst du an?) – und tuckert den ganzen Tag Richtung Bregenz. Den ganzen Tag! Das ist einmal quer durch die Republik, und das erklärt dir jetzt auch, warum ich das integrierteste Migrantenkind dieser Welt bin. Weil wenn du jahrein jahraus durch das Land fährst, dann kennst du irgendwann jeden Grashalm zwischen Wien und Bregenz beim Vornamen, hast Bekanntschaft mit jedem Strommast geschlossen, bist mit jeder einzelnen Hausfassade per Du. Und am Ende deines Lebens kannst du bedenkenlos sagen: Ich kenne jeden Österreicher, weil ich bin mindestens einmal neben ihm im Railjet gesessen.

Jedenfalls kommst du in Bregenz an, bereitest dich seelisch auf ein fünf Tage andauerndes Mittagessen vor, stellst fest, dass Vorarlberg noch immer schön ist, die Mama ist auch endlich froh wegen allem – und dann fragt sie natürlich die wichtigste aller Fragen: „Hast du deine Wohnung geputzt?“

Staubsaugerbeutel. Vor dem Urlaub gründlich die Wohnung putzen – das machen so gut wie alle türkischen Familien. Bevor die Reise losgeht, wird der Boden gewischt, die Bettwäsche gewechselt, die Fenster geputzt, die Fliesen geschrubbt, die Küchenkästen aus- und eingeräumt, der Staubsaugerbeutel ausgewechselt, die glänzenden Flächen poliert, die kaum zugängliche Stelle hinter dem Heizkörper abgestaubt und die dadurch zugezogenen Verletzungen an den Fingern verarztet. Als Kinder war dieses tagelange Putzgelage so normal für uns, dass wir nie nachgefragt haben – vielmehr haben wir dieses Ritual selbst übernommen.

„Ja, ja“, sage ich zu Mama, „alles tiptop sauber.“

Neuanfang. Warum putzt man die Wohnung, wenn drei Wochen später, nach der Rückkehr, ohnehin alles staubbedeckt sein wird? Ganz unerwartet liefert mir die Antwort eine Stelle im Roman „Die Ungehaltenen“ des Berliner Autors Deniz Utlu: „Ich hatte meine Eltern damals gefragt, ob wir das machten, damit sich die Geister wohlfühlten, solange wir weg waren“, erzählt der Protagonist Elyas. Seine Mutter antwortet ihm: „Jede Rückkehr muss ein Neuanfang sein und darf nicht im Dreck des Gestern enden.“

duygu.oezkan@diepresse.com

diepresse.com/diesetuerken

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

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