Von eingelegtem Gemüse und dem Wahlkampf in meinem Ländle

Das beste Essen der Welt gibt es in den ersten Herbsttagen.

Wie ich mich so durch den Vorarlberger Wahlkampf kämpfe, bestätigt sich mir schon wieder ein Klischee über die Menschen in meinem Bundesland: Sogar zu Wahlzeiten geht es hier puritanisch zu. Während der Wiener Wahlkampf immer einer gewaltigen Alien-Apokalypse gleicht, hast du im Ländle ein Ambiente wie auf Gut Aiderbichl am Weihnachtsfeiertag. Auf der Abschlussveranstaltung der Grünen auf dem Dornbirner Marktplatz zum Beispiel, wo ich dienstlich herumgesessen bin, hat ein Mann beim Vorbeigehen die Hand ausgestreckt und mit dem Daumen nach unten gezeigt. „Unfassbar!“, ist es einer anderen Passantin ob dieser monströsen Protestgeste herausgefahren.

„Wean kasch hützutäg denn no wähla?“, war das Wildeste, was ich von der Politikfrust-Fraktion gehört habe und die Mama, die leider nicht mehr so gut sieht, hat sich doch tatsächlich über die klitzekleine Schrift auf den Wahlzetteln beschwert – und sich anschließend gewundert, dass sich die Kommunisten jetzt mit C schreiben (CPÖ – Christliche Partei Österreichs).

So kam es also, dass die eigentlich hitzigen und kontroversen Debatten nicht auf der politischen Bühne, sondern bei uns zu Hause stattfanden. Das Thema war aber nicht minder polarisierend: eingelegtes Gemüse.

Weißkohl. Bei uns in der Parallelgesellschaft geht es in den ersten herbstlichen Tagen zu wie bei einer Krönungszeremonie. Mütter und Väter schließen sich hoheitsvoll und hoch konzentriert in die Küche ein, um Gemüse – insbesondere Weißkohl – einzulegen. Das ist viel Arbeit, aber das Ergebnis (Turşu) ist das beste, was du jemals in deinem Leben gegessen haben wirst. Weil das Gemüse aber gut einen Monat in der Essig-Salz-Lake reifen muss, habe ich die Turşu-Bestellung schon im Juli aufgegeben. Die Mama hat dann Anfang September allen in Vorarlberg verfügbaren Kohl zusammengekauft und sich rechtzeitig an die Arbeit gemacht, damit das Kind später nicht herumjammert.

Ich weiß schon, bis jetzt hört sich alles an wie ein zauberhaftes Märchen, aber schau dir das an: Wie ich mich ganz gierig auf die Turşu-Tonnen stürzen will, sagt die Mama: Nein! Ich müsse noch arbeitsmäßig unter Menschen, da darf ich kein Turşuessen, weil – wie soll ich dir das erklären? – stell dir vor, du hast einen Swimming Pool, und darin befindet sich statt Chlorwassers gepresster Knoblauch, und du schwimmst zehn Bahnen und danach gehst du auf eine Party in die Stadt. Das kannst du aus Liebe zu den Mitmenschen und der Stadt einfach nicht machen. Turşu ohne Knoblauch kannst du aber auch vergessen, also habe ich nach langem Hin und Her aus humanitären Gründen zugestimmt, erst einen Tag vor der Abreise zuzulangen.

Kässpätzle. Während ich auf den Turşu-Tag warte, erzählt mir mein Bruder, dass er in Tirol Vorarlberger Kässpätzle bestellt habe: „Da war Gorgonzola drauf!“ In Turşu baden und auf eine Party gehen ist verzeihlicher als Gorgonzola auf Kässpätzle, das kannst du mir ruhig glauben.

duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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