Mit der Mutter auf den Naschmarkt

Die Mutter war da, und wir waren auf dem Naschmarkt: vom Putzen, der Herkunft und den vielen türkischen Provinzen.

Die Mutter war zu Besuch in Wien, und wie das nun einmal so ist, putzte sie in einem unbeobachteten Moment meine Wohnung gründlich sauber, die ich zuvor anlässlich ihres Besuchs gründlich sauber geputzt hatte. Nicht, dass du denkst, ich lass hier meine arme Mutter durchschuften, aber gegen sie in Kombination mit Danklorix hatte ich einfach keine Chance, das muss mir die Menschheit glauben. Außerdem waren wir auch auf dem Naschmarkt. Und als wir so durch den Markt spazieren und uns auf Türkisch unterhalten, hört uns ein türkischer Marktstandler und ruft uns ganz fortissimo hinterher: „Memleket?“ Das ist bei uns in der Parallelgesellschaft natürlich eine ganz wichtige Frage, denn Memleket definiert den türkischen Menschen, mit dieser Frage ordnet man sein Gegenüber ein, scannt quasi die Person im inneren Auge einmal durch, damit man weiß, mit wem man es überhaupt zu tun hat, sei es auf dem Naschmarkt, sei es in Istanbul – oder auf dem Mars.

Memleket heißt Heimat oder Heimatort, und die Bindung an die ureigene Region ist sehr stark ausgeprägt (was freilich nicht nur für Türken gilt). Die Provinz, aus der die Familie stammt, bleibt immer ein starkes Identifikationsmoment, und dabei spielt es keine Rolle, ob die Familie bereits seit drei Generationen woanders wohnt. Ein Mensch aus der Provinz Erzincan bleibt immer ein Mensch aus der Provinz Erzincan, auch wenn er in Ankara geboren worden, Bankdirektor in Paris geworden und noch nie in Erzincan gewesen ist. Die Provinz bietet eine Zugehörigkeit in diesem riesigen Land, sie ist Hort der Familie und ihrer Geschichte.

Wirrwarr. Wenn ich zum Beispiel nach meiner Memleket gefragt werde, dann endet das immer in einem komplizierten Erklärungswirrwarr, weil meine Eltern aus verschiedenen Provinzen kommen – und ich war in keiner der beiden, sodass ich kaum etwas dazu sagen kann. Und wenn ich sage: „Ich wurde in Istanbul geboren“, dann gilt das auch nicht, weil heutzutage bist du schnell einmal in Istanbul auf die Welt gekommen (und richtig, aus der Bosporusstadt stammen ohnehin nur die bourgeoise Elite sowie die durch die Vertreibungen leider nur mehr sehr wenigen Nachfahren der alteingesessenen griechischen, jüdischen und armenischen Familien). Werde ich also gefragt, antworte ich mit: „Ich komme aus der Provinz Vorarlberg“, aber das beeindruckt halt auch kaum jemanden. „Ja, du schon, aber deine Eltern, woher kommen deine Eltern? Memleket?“

Die Heimatprovinz sagt aber auch viel über die Herkunft der Person aus. Leute aus Hatay haben zumeist arabische oder christliche Wurzeln, aus Düzce kommt vielleicht ein Tscherkesse, aus Tunceli ein Zaza-Kurde, aus Diyarbakir ein Kurde mit Kurmanji als Muttersprache. Die Leute aus den anatolischen Provinzen sind oft tief konservativ, die Bewohner der Mittelmeerregion genau das Gegenteil. Ich glaube, die Frage nach dem Memleket geht auch mit dem Wunsch einher, vielleicht auf jemanden zu treffen, der aus derselben Provinz kommt. Ich freue mich auch immer wie blöd, wenn sich herausstellt, dass mein Gegenüber ein Vorarlberger ist.

duygu.oezkan@diepresse.com

diepresse.com/diesetuerken

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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