Zur Lage im Gazastreifen


Die gegenwärtige Situation in und um den Gazastreifen offenbart die Hilflosigkeit, mit der die israelische Regierung den andauernden Raketenangriffen aus Gaza gegenübersteht. Seit 2001 wurden elf Israelis durch Kassam-Raketen getötet (. . .) Einen wirksamen Schutz gegen die mit Sprengstoff gefüllten Stahlrohre gibt es nicht, besonders die 22.000 Einwohner der Stadt Sderot haben unter dem Raketenbeschuss zu leiden. (. . .)Als Reaktion auf den fortgesetzten Kassam-Beschuss erklärte die israelische Regierung den Gazastreifen im September 2007 zum „feindlichen Gebiet" und kündigte einen Stopp der Öl-, Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen in die palästinensische Enklave an. Am vergangenen Donnerstag beschloss das Kabinett dann eine Blockade des Gazastreifens (. . .)

Hamas profitiert von der Blockade

Im Jahr 2005 hatte Israel sämtliche Siedlungen im Gazastreifen geräumt und sich einseitig aus dem 360 Quadratkilometer großen Gebiet zurückgezogen. Gleichwohl übt der israelische Staat weiterhin die vollständige Kontrolle über den Luftraum, den Seeweg und durch ein Abkommen mit Ägypten auch über alle Grenzübergänge aus.

Aus diesem Grund bezeichnet etwa das CIA World Factbook (. . .) den Gazastreifen noch immer als israelisch besetztes Gebiet. (. . .) Für Jahrzehnte war der Gazastreifen unter israelischer Besatzung zu allererst ein Reservoir für billige Arbeitskräfte. Eine Wirtschaft, die es nach der Abriegelung der palästinensischen Gebiete schafft, auf eigenen Füßen zu stehen, konnte so nicht entstehen. Die Korruption der Fatah und die Unfähigkeit der Hamas taten und tun ihr Übriges zur wirtschaftlichen Misere im Gazastreifen. Ohne Zweifel nutzt die Hamas die humanitäre Krise im Gazastreifen aus, allerdings macht ihr die israelische Regierung durch ihre Blockade dieses auch ziemlich einfach. Dass Israel dennoch weiterhin 70% der notwendigen Stromversorgung für den Gazastreifen bereitstellt, bleibt daher fast unbemerkt. Es stellt sich die Frage, welches Ziel die israelische Regierung mit ihrer Blockade des Gazastreifens verfolgt. Die Sicherheitslage für die Einwohner in den grenznahen Regionen hat sich in den vergangenen Tagen nicht verbessert (. . .)

De facto bieten sich Israel nach jetzigem Stand nur zwei Alternativen zu einer Fortführung der Blockade. Möglichkeit eins wäre eine breit angelegte Invasion des Gazastreifens. Darauf konnte sich die Hamas jahrelang vorbereiten, und die israelische Armee müsste im Häuserkampf mit einer hohen Zahl eigener Opfer rechnen. Die Zahl der zivilen Opfer unter den Palästinensern dürfte bei diesem Szenario in die Tausende gehen. Nach jetzigem Stand ist kaum vorstellbar, dass der angeschlagene Premier Olmert dieses Risiko eingehen wird. Die andere Möglichkeit ist die eines Waffenstillstands, den die Hamas in der Vergangenheit mehrfach angeboten hat. Dieser würde den Menschen in Sderot eine Atempause verschaffen, die eine Blockade Gazas nicht zu erreichen im Stande ist. Läuft alles weiter wie bisher, scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Gruppen wie al-Qaida oder Fatah al-Islam im Gazastreifen Fuß fassen.

C. Sydow
Deutschland

http://alsharq.blogspot.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2008)

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