Kneifen und Knistern in knappen Knutschzonen

Die Wiener Verkehrsbetriebe wollen nun das Knutschen in ihren Zügen sanktionieren. Und was ist mit dem Schmusen? Es klingt anders.

Nun sollen also die Sitten in den öffentlichen Verkehrsmitteln Wiens strenger werden. Neben lautem Telefonieren und stark riechendem Essen wird das „aufdringliche Knutschen“ strafbar, entnahm ich einer Gratiszeitung, die zu diesem Thema gleich den Tanzschulmeister Thomas Schäfer-Elmayer zitiert, der beschwichtigend erklärt: „Küssen ist ein Ausdruck der Liebe und sollte nicht bestraft werden.“

Hmm. Heißt das, dass Knutschen kein „Ausdruck der Liebe“ ist? Und Schmusen? So ähnlich die beiden Wörter in ihrem Buchstabengehalt sind (sie haben „s“, „c“, „h“, „u“, „e“ und „n“ gemeinsam), so unterschiedlich klingen sie und werden sie empfunden. Wer ein Paar beim Schmusen sieht, reagiert darauf mit Sympathie und nur, wenn er/sie vom Leben verbittert ist, mit dem Ruf: „Kauft's euch a Wohnung!“

Das Knutschen dagegen hat offenbar etwas Aufdringliches an sich. Das liegt, behaupte ich, am Wortklang, und setze meine höchst unregelmäßig erscheinende Serie über stark physisch konnotierte Lautfolgen fort. Zur Erinnerung: „Schm“ ist mit dem Mund, den Lippen und dem Gefühl des Weichen verbunden (schmatzen, Schmalz, schmecken, schmieren, schmollen, Schmaus, schmelzen, schmeicheln usw.), „schl“ repräsentiert den Schlund (schlingen, schlemmen, schlucken) oder die Zunge (schlecken, schlürfen), „schn“ steht für die Nase (Schnabel, Schnauze, Schnupfen, schniefen, schnarchen, schnaufen, für Kokainisten auch der Schnee), „schr“ hat etwas Schrilles, Schreckliches, Schreiendes an sich. Meine Mutmaßung, dass die Lautfolge „ude“ oft Derbes, Unanständiges impliziere, ist weit schwächer belegt.

Zurück zum Knutschen. Was kann man über Wörter sagen, die mit „kn“ beginnen? Manchmal drücken sie eine Verdickung aus: Knolle, Knoten, Knopf, Knie. Das letzte Beispiel zeigt aber schon eine zweite Assoziation: Wörter mit „kn“ bedeuten oft, dass etwas gekrümmt, allgemein: physisch beeinträchtigt wird. Wir knicken, kneifen, knabbern, knüllen, kneten, und wenn etwas knackt, knistert oder knallt, bleibt es nicht intakt. Vielleicht sprechen wir darum vom Knutschfleck und nie von Schmusefleck: Das Schmusen hinterlässt keine Spuren, bestenfalls Lippenstift auf dem Kragen.

Nach diesen Überlegungen überrascht uns nicht, was Kluges „Etymologisches Wörterbuch“ sagt: Knutschen habe ursprünglich zusammendrücken, quetschen bedeutet, das Wort knautschen sei unmittelbar zugehörig. Unter der Knautschzone verstehen wir jene Bereiche eines Autos, die sich bei einem Unfall stark und dauerhaft verformen.

So kann man vorhersagen: Sollten die Zuständigen der Wiener Verkehrsbetriebe in einer erotophilen Laune beschließen, Knutschzonen in ihren Bussen und Zügen einzuführen, so wären diese bei Liebenden gar nicht so beliebt. Sie wollen drücken und gedrückt werden, aber einander – abgesehen vielleicht von einer Schwängerung, die aber wohl auch die Liberalsten nicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln praktiziert sehen wollen – nicht dauerhaft verformen.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2013)

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