Wir wandern auf die Sulzwiese (und dann in die Krim)

Die Burgtheater-Affäre hat auch ihr Gutes: Sie erinnert uns an einen weiteren legendären Ort in Wien-Döbling.

Freudianer pilgern aufs Bellevue, zum Denkmal an dem Ort, wo sich ihrem Meister 1895 „das Geheimnis des Traums enthüllte“; Freimaurer suchen die ägyptische Grotte, in der Mozart als Gast des Grafen Cobenzl zur „Zauberflöte“ inspiriert wurde (ich hab' sie immer noch nicht gefunden); Parawissenschaftler wandeln auf den grusligen Spuren des Freiherrn von Reichenbach, der die Urkraft „Od“ erforschte; für Hinduisten gibt's eine Statue des Sri Chimnoy, für konstitutionelle Monarchisten eine der Lady Di... Es gibt viele Motive, auf dem Wiener Reisenberg (vulgo Cobenzl) zu flanieren: Kein Wunder, dass der Parkplatz an schönen Tagen voll ist, man nimmt besser den Bus 38A.

Das tut auch jeder, dem das Schicksal des Burgtheaters nahegeht in diesen Tagen, mit Gewinn. Er packt ein großes kaltes Schnitzel ins Tupperware-Geschirr – dazu vielleicht, im Gedenken an den großen Döblinger Helmut Qualtinger, einen Erdapfelsalat im Glasl –, und fährt mit dem 38A vom Parkplatz Cobenzl zwei Stationen weiter Richtung Kahlenberg: zur Sulzwiese. Dort setzt man sich unter die Linde und schaut über die Donau bis in die Slowakei, wie Hermann Beil in Thomas Bernhards Dramolett „Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese“. Man braucht eine Begleitung, die in einem passenden Moment „Mein Alltheater“ sagt, worauf man mit „Ein herrliches Schnitzel“ antwortet. Auf dem Weg hinunter nach Grinzing sagt man dann noch atemlos: „Der Dramaturg beschuldigt den Direktor, der Direktor beschuldigt den Dramaturgen, aber da wir nun in der Falle sind, in der Burgtheaterfalle, müssen wir das Beste daraus machen.“

Dann geht's laut Regieanweisung ins Kaffeehaus, leider gibt es in ganz Grinzing, wenn nicht in ganz Döbling, kein gescheites solches mehr, wer eines kennt, soll mich eines Besseren belehren, es gelten aber nur Kaffeehäuser mit Zeitungen, die mindestens Berliner Format haben.

Doch wenn wir schon im guten alten Döbling sind, besuchen wir lieber gleich die Krim. So heißt, wie der kluge Kollege Pink bereits erklärt hat, ein nicht so mondäner Teil des 19.Bezirks, zwischen Cottage und Sievering, im Krottenbachtal, wo einst die Arbeiter von Firmen wie Gräf & Stift und Bensdorp wohnten. Heißt die Krim nach der Krim? Die These, dass die Wiener Proletariersiedlung nach dem Krim-Krieg (1853 bis 1856) benannt worden sei, ist eher unglaubwürdig. Plausibler ist, dass ein Wirt namens Johann Grimmer (an der Krottenbachstraße) der Namensgeber war. Doch am besten scheint mir eine erst vor vier Jahren von Wolfgang E.Schulz entdeckte Ableitung: Jemand sei „in der Krim“ oder ein „Kriminger“, sagte man in den 1870er-Jahren, wenn jemand einsitzen musste, etwa im Landesgericht. Und das traf auf etliche Einwohner des übel beleumundeten Grätzls von Zeit zu Zeit zu. Heute sagt man eher, dass einer „ins Kriminal“ muss. Das wollen wir jedenfalls niemandem vom Wiener Burgtheater wünschen.

E-Mails an:thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2014)

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