Melodie ist nicht egal, Schriftbild ist nicht egal

Ob Bundeshymne oder Binnen-I: Man darf, ja, man soll auch über ästhetische Fragen debattieren.

Wir haben derzeit in Österreich eine Hymne, deren erste Strophe mich in den Ohren schmerzt. Nicht, weil 2011 die Töchter zu den Söhnen gesellt wurden, das ist mir sympathisch. Nein, es ist die Melodie, die, obwohl sie im Notenbild gleich geblieben ist, nicht mehr funktioniert. In der alten Version fielen zwei Achtelnoten auf die zweite Silbe von „großer“, in der neuen fallen sie auf die zweite Silbe von „Töchter“ sowie auf das Wort „und“, und das klingt schauerlich, das zerstört den ganz eigentümlichen Fluss des Liedes.

Mit der Zeile „Heimat großer Töchter, Söhne“ hätte es funktioniert, dagegen sprach, dass man den Beistrich nicht hört, sondern „Töchtersöhne“ versteht, und das wären wieder nur Buben, diesfalls halt Enkel. Eine sing- und denkbare Variante wäre auch „Große Töchter, große Söhne“, dass es um die Heimat geht, weiß man sowieso. Aber wie es jetzt ist, geht's nicht, da können wir die Zeile „Volk, begnadet für das Schöne“ gleich auch ersetzen.

Was das denn für Probleme seien, fragt da ein Leser; ob ich keine anderen Sorgen habe, will eine Leserin wissen. Natürlich, hab ich. Natürlich haben wir alle auch andere Probleme. Aber es ist nicht egal, wie unsere Hymne klingt. Wer das meint, unterliegt einem verbreiteten Irrtum: dass nur Themen wichtig und der Rede wert seien, die mit Geld oder Macht zu tun haben. Das stimmt nicht. Das ist eine bornierte, kulturfeindliche Haltung, gegen die zu kämpfen nicht die geringste Aufgabe eines Feuilletons ist.

Es ist nicht egal, wie sich ein Text anhört, auch nicht, wie er aussieht, geschrieben, gedruckt, auf dem Bildschirm. Es kommt nicht nur auf den Inhalt an – abgesehen davon, dass die Form den Inhalt prägt. Wer die Ästhetik der Sprache verachtet, schätzt oft auch gering, was sie ausdrückt. „Am unverständlichsten reden die Leute daher, denen die Sprache zu nichts anderem dient, als sich verständlich zu machen“, sagte Karl Kraus.

Darum ist es ernst zu nehmen, wenn Philosophen und Schauspielerinnen, Krankenschwestern und Musikkritiker, Pensionisten und Technikerinnen sich in einem offenen Brief dagegen wehren, dass sie PhilosophInnen, Schauspieler/innen, Musikkritiker(innen) oder gar, wie es die Anhänger der Queer-Theorie wollen, Pensionistinnen schreiben sollen. Es wäre unlauter, ihnen zu unterstellen, dass sie mit ihrer Kritik nur die Gleichberechtigung von Männern und Frauen unterlaufen wollen.

Gewiss, Sprache ändert sich. Wir sagen im Kaffeehaus nicht mehr „Fräulein“, und das ist gut so. Aber Sprache per Dekret zu ändern ist problematisch. Wer das versucht, muss sich zumindest der Debatte stellen. Ein autoritäres „Das steht jetzt fest, darüber diskutieren wir nicht mehr“ ist hier wie meistens fehl am Platz.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2014)

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