Den Ventilatortod kennt man nur in Südkorea

Sommerliche Maschine Nummer eins: Über den Ventilator haben die Rolling Stones schon 1972 einen trägen Blues gespielt.

„When your spine is cracking and your hands, they shake...“ Zwischen dem bösen Surren der Gelsen und dem matten Stöhnen der Menschen meint man in diesen Tagen auf den Straßen diese Zeilen murmeln zu hören. Sie sind nicht von irgendwem, sondern von den Rolling Stones, aus ihrem trägsten, dumpfsten, heißesten Album, „Exile On Main Street“, aus einem störrischen Song namens „Ventilator Blues“. „Everybody gonna need some kind of ventilator“, ist der Refrain.

Was ist ein Ventilator? Der Stowasser bietet nur eine Übersetzung des lateinischen Wortes an (mit dem Rhetoriklehrer Quintilianus als Quelle): Taschenspieler; der Langenscheidt fügt noch den Gaukler hinzu und erklärt: eigentlich Worfler.

Was tut ein Worfler? Er wirft gedroschene Ähren mit einer flachen Korbschale in die Luft, damit der seitliche Wind die Spreu davonträgt und nur die Körner in den Korb zurückfallen. Das erinnerte Quintilian offenbar an einen Jongleur, einen Gaukler.

Damit kommen wir nicht weiter. Zurück zum Wort, zum Wind, ventus, von dem kommt das Verb ventilare, in der Luft schwenken, Kühlung zufächeln, und das passt schon ganz gut.

Aber ein Ventilator ist mehr als ein Fächer. Also machen wir es uns wieder ein bisschen schwerer und schauen in der Wikipedia nach. Dort steht: „Ventilatoren sind Strömungsmaschinen, die als Arbeitsmaschinen wirken. Da sie durch kontinuierliche Rotation eines Axial- bzw. Radiallaufrads arbeiten, sind es Turbomaschinen.“

Es mag an einem Jugendtrauma (Physikprüfung über die mir bis heute unsympathische Gasturbine) liegen, aber das ist mir zu hoch, ich sehe den Ventilator lieber als Black Box, in die man elektronischen Strom gibt, worauf sich etwas dreht und dadurch Wind erzeugt. Dieser künstliche Wind weht die warme Luft von der Haut und das verdunstete Wasser vom Schweiß gleich dazu, worauf neues Wasser verdampfen kann, was Energie kostet, die der Haut entzogen wird. Derselbe Effekt, verwirklicht durch Windmaschinen, hilft alljährlich beim Song Contest den Sängerinnen, die verwegensten Quintensprünge zu überstehen und dabei die Coolness zu bewahren.

Wie immer wenn Energie umgewandelt wird, entsteht auch im Ventilator Wärme, die Luftreibung mag noch ein bisserl ΔQ hinzufügen, um es thermodynamisch zu sagen, aber es wird subjektiv kühler, und das ist der Grund dafür, dass die beliebteste Erlebniserzählung dieser heißen Tage ist, dass einer aus einem Restposten von Ventilatoren gerade noch den letzten erstanden hat. Kann natürlich auch sein, dass ihm der Verkäufer das nur erzählt hat, um ihm eine Freude zu machen, so nett können Händler sein.

Worüber sie aus Eigennutz, aber auch aus Rücksicht nicht sprechen, ist der Ventilatortod. Den gibt es nicht wirklich, nicht einmal im Film „Casablanca“, wo die Ventilatoren doch sehr groß sind, das ist eine typische urbane Legende, die merkwürdigerweise nur in Südkorea verbreitet ist. Dort hat sogar eine staatliche Stelle, das Korea Consumer Protection Board, vor „Atemstillstand durch elektrische Ventilatoren und Klimaanlagen“ gewarnt. Wer das schon glauben wollte, sei hiemit entwarnt und darf sich in aller Gemütsruhe und notdürftig gekühlt den „Ventilator Blues“ anhören: „We can't be cowed by words, messed by cheating, ain't gonna ever learn.“

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2015)

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