Erst kommt das kleine e, und dann kommt bald der Komet

Die deutsche Zeitung schreibt sich neuerdings „WeLT“. Was will sie uns mit diesem Buchstabenmanierismus sagen?

Leofan men, gecnawath thaet soth is: Theos woruld is on ofste, and hit nealaecth tham ende“, schrieb Wulfstan, der Erzbischof von York, zur Zeit der vorletzten Jahrtausendwende. Strenge Anglisten mögen verzeihen, dass wir hier nicht, wie unter ihresgleichen üblich, đ statt th und æ statt ae schreiben, aber es schaut auch ohne fremde Lettern seltsam genug aus. Auf Neuhochdeutsch heißt es jedenfalls: Liebe Menschen, erkennt, was wahr ist: Diese Welt ist in Eile, und sie nähert sich dem Ende.

Das sahen und sehen viele Beobachter ganz ähnlich, „Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang“, befand Nestroys Schuster Knieriem; Bob Dylan beginnt seit Jahr und Tag seine Konzerte grundgrantig mit „Things Have Changed“, mit der theologisch strittigen Zeile „If the bible is right, the world will explode“; und wenn einem Kommentator noch ein Halbsatz fehlt, dann schreibt er, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben. Wie lang eigentlich schon? Und wie lang noch? Das Wort „Welt“ kommt von „wira-aldo“, Menschenalter, aber wie lang dauert das?

Egal, die Welt ist in Eile, sie ändert sich dauernd, nicht nur klimatisch, und die nach ihr benannte Zeitung „Die Welt“ tut's ihr gleich. „Die Welt gehört denen, die neu denken“, stand am Montag im Editorial, das erklärte, warum einem das Logo der Zeitung so befremdlich entgegenblickte. Nein, es enthielt weder ein đ noch ein é, das i trug kein Trema und das l war nicht durchgestrichen, aber das e in „Welt“ war klein, mitten unter großen Buchstaben. „Gestatten, WeLT. Mit kleinem e“, war der Titel des Editorials, das in schönen Worten erklärte, dass das e jetzt klein ist („Die ,WeLT‘ mit dem markanten kleinen ,e‘ ist das neue Dach unserer Markenfamilie“), aber nicht, warum es das ist. Dass Chefredakteur Jan-Eric Peters sich im selben Editorial von den Lesern verabschiedet, wird ja wohl nicht kausal damit zusammenhängen; man geht vielleicht wegen eines Tüpferls auf dem i, auf dem ein Kollege zu oft reitet, aber doch nicht wegen eines kleinen e.

Man muss es also als Manierismus nehmen, als Form, die keiner Funktion folgt, was wir ja eigentlich begrüßen. Und es wird uns keine Probleme machen: Wir schrieben bisher, wenn wir aus der „Welt“ zitierten, nicht „WELT“, wir werden in Zukunft weder „WeLT“ noch „wElt“ schreiben, da sind wir fad. Das „Profil“ ist uns auch nicht böse, wenn wir es nicht „profil“ nennen; das Wien-Museum hat es uns nie länger nachgetragen, wenn wir ihm den Bindestrich gegönnt haben, auf den es leichtfertig verzichtet hat; und Valie Export glaubt uns wohl, dass wir sie hoch schätzen, auch wenn wir ihren Künstlernamen nicht durchgehend in Großbuchstaben schreiben.

Großzügiger sind wir mit diakritischen Zeichen, etwa mit den doppelten Punkten auf Vokalen, die man auf Englisch gern „röck döts“ nennt, weil sich viele Metal-Bands (Motörhead, Mötley Crüe etc.) damit zieren.

Aber wir wissen auch aus Erfahrung, dass man mit ungewöhnlichen Lettern aufpassen muss: 2013 druckten wir die erste Seite einer Jubiläumsausgabe in Fraktur, was recht originell aussah. Für manche Leser zu originell: Wir hatten übersehen, dass es in Fraktur zwei Arten von s gibt, das lange und das kurze. So war nur im Logo ein langes s (das uns Heutigen eher wie ein f vorkommt), sonst waren alle s kurz. So viele Rechtschreibfehler hatten wir davor und danach nie auf einer Seite . . .

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

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