Ein Fisch, der seinen Bach gehört hat, ist nicht launisch!

Der edle Wels, den man in einem Selbstbedienungsrestaurant essen könnte, war nie Songs von Phil Collins ausgesetzt. Ich schon.

Zu den harmlosen, aber unerfreulichen Erscheinungen der fortgeschrittenen Zivilisation zählt die inflationäre Verwendung des Worts Genuss, das dem schon länger boomenden Spaß Konkurrenz zu machen droht. Zwar ruft man noch nicht alternativ zu „Viel Spaß!“ (wer mir das wünscht, dem wünsche ich ebenfalls nichts Gutes) „Viel Genuss!“, aber es gibt kaum mehr einen Landstrich in Österreich, der sich nicht als „Genussregion“ definiert, oft unter Berufung auf seltsam gefärbte Öle oder auffällig fette Würste. Dass sich das Kaffeehaus, in dem zu sitzen ich gewohnt bin, seit einiger Zeit als „erstes Genuss Café“ (noch dazu so geschrieben!) definiert, macht mir zu schaffen. Jetzt soll mir niemand mit dem Spruch „Wer nicht genießt, ist ungenießbar“ kommen! Er stammt zwar angeblich gar nicht von Konstantin Wecker, sondern von Friedrich Schiller, aber dieser hatte auch nicht immer recht. Und außerdem: Will ich wirklich genießbar sein?

Meist genießbar, wenn auch für ein Selbstbedienungsrestaurant meines Erachtens ziemlich überteuert, sind die Fische, die in den Lokalen der Nordsee-Kette gesotten, gedünstet oder gebraten und dann gereicht werden. Wahrscheinlich auch das „,Waldland‘ Edelwelsfilet aus dem wunderschönen Waldviertel“, das gewiss auch eine Genussregion ist, was aber auf dem papierenen Tischtuch nicht steht. Dafür wird dort ein „Genuss-Gutschein“ annonciert und das Leben des edlen Welses näher beschrieben: „Da er sehr empfindsam auf Geräusche in seiner Umgebung reagiert, sorgt die Beschallung mit Musik von Johann Sebastian Bach (Fettdruck im Original, Anm. tk) für eine entspannte Atmosphäre. Dies wirkt sich nicht nur positiv auf die Aufzucht der Fische, sondern auf die Produktqualität und vor allem den Geschmack aus.“

Nun wage ich zu bezweifeln, dass man einem panierten, noch dazu mit Preiselbeeren servierten Fisch wirklich anschmeckt, ob er als Teenager (um nicht Backfisch zu sagen) der Musik von Johann Sebastian und nicht doch jener von Wilhelm Friedemann oder Philipp Emanuel Bach ausgesetzt war. Ich will auch nicht vorschlagen, dass man die Forellen zu Schuberts gleichnamigem Lied aufzieht, wer weiß, vielleicht werden sie dann launisch und schmecken auch so.

Ich will nur, auch wenn das angerührt klingen mag, auf eines hinweisen: Ich reagiere auch sehr empfindsam auf Geräusche in meiner Umgebung! Und trotzdem spielen sie in den Supermärkten, in die mich mitunter der Hunger treibt, nie Johann Sebastian Bach – oder, was mir noch lieber wäre, gar keine Musik –, sondern elendes Formatradiogedudel. Ich sage nur: Phil Collins! Man soll nicht nach Komplimenten fischen, aber: So ungenießbar, wie mich das eigentlich gemacht haben sollte, bin ich nicht, oder?

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2016)

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