Wenn schon Angst, dann vor explodierenden Truthähnen!

Das nächste aus den USA importierte Fest wird wohl Thanksgiving. Mit ein bisschen Chemie kann man es ganz gut überstehen.

In Oberösterreich feiert man, wie wir seit Walter Wippersbergs ethnologischem Film wissen, dann und wann das Fest des Huhnes; in den USA begeht man genau am vierten Donnerstag des Monats November, also morgen, das Fest des Truthahns.

Amerikakritiker mögen die Stirn runzeln – nach Halloween noch ein aus dem (wilden) Westen importiertes Fest! –, ich gestehe gern, dass ich unlängst zu einem verfrühten Thanksgiving geladen war. Wo es gemütlich und hochkalorisch zuging, bis mir ein normalerweise netter Politikbeobachter erregt erklärte, dass man sich jetzt just fürchten müsse, weil der neue amerikanische und der alte russische Präsident einander gut verstehen.
Das verweigerte ich. Als Angehöriger einer Generation, die einen beträchtlichen Teil ihrer Jugend damit verbracht hat, Angst vor Feindseligkeiten zwischen USA und UdSSR zu haben (siehe das Video von Frankie Goes to Hollywood, „Two Tribes“), habe ich keine Lust darauf, mich jetzt vor dem Gegenteil zu fürchten, bei aller Skepsis gegenüber Wladimir Putin und Donald Trump. Worauf der Politikbeobachter mir erklärte, dass auch Verharmloser seine Feinde seien . . .

Soll sein. In Amerika fürchtet man sich indessen vor und zu Thanksgiving vor explodierenden Truthähnen. Videos, die solche zeigen, sind längst Legion und viral. (Dass unsere Social-Media-Addicts das noch nicht bemerkt haben, beweist, dass es auch im weltweiten Netz noch interkulturelle Grenzen gibt.) Die American Chemical Society, der ich vertraue, hat jedenfalls bereits mit einem lehrreichen Video namens „How to fry a turkey (without burning your house down)“ auf die Plage reagiert. Man erfährt darin einiges über Wärmeleitung, über polare und unpolare Substanzen sowie über Rauchpunkte von diversen Ölen, und man versteht die Wurzel des Problems: Viele Amerikaner stecken noch tiefgefrorene Truthähne in (extra für diese gebaute) Fritteusen, das Eis dehnt sich beim jähen Sieden rasch aus, das Öl tut zischend und brennend das Seine. „Be safe out there, folks“, heißt es im Video am Schluss, und: „Remember that 911 is your friend.“ (911 ist die Telefonnummer der Feuerwehr.)
Rat findet man auch in der YouTube-Serie „Art of Manliness“: Das Bereiten von Truthähnen – noch dazu besonders großen, die unser US-Korrespondent auf Anfrage als „pterodaktyloide Giganten“ bezeichnet – gilt in Amerika offenbar als männliche Tugend, andere Folgen der Serie heißen „Why every man should own a pocket knife“ oder „How to roll up your sleeves“. In „How to deep-fry a turkey“ erzählt ein Schnauzbärtiger im karierten Hemd, dass jährlich 4300 Häuser wegen Truthähnen abbrennen („You don't wanna be one of these guys“), dann erklärt ein Herr namens Karl Engel, angetan mit Lederhandschuhen und einer mit roten Chilischoten verzierten Hose, ein Walkie-Talkie in dieser, wie man einen Truthahn brät. Er empfiehlt, ihn mit Injektionen von Butter zu präparieren: „Everything's better with a whole lot of butter.“

Das sieht man auch in Österreich so. Allerdings können wir hier nicht so kunstvoll zur Weltpolitik überleiten wie die „Washington Times“: „Thanksgiving's coming! But first let's look at the other Turkey!“
Lieber doch nicht. Zumindest zu Thanksgiving kann man doch einmal so tun, als ob alles in Butter wäre und nichts zu explodieren drohte. Danke.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.