Keine Panik vorm Abgrund: Die EU geht weiter voran

Krisenstimmung ist etwas für saturierte Menschen mittleren Alters. Andere Generationen wollen und können sich das offenbar nicht leisten.

Das Gegengift, sagt mir ein in innersten Dingen bewanderter Freund, fröne ziemlich oft einem Laster: der Hysterie. Er mag recht haben. Wenn Hypochonder heutzutage den Wirtschaftsteil lesen, selbst in seriösen Blättern, kann bei diesen sensiblen und lebenslang verwöhnten Menschen sehr leicht Panik ausbrechen. In Kombination mit dem Thema Europa sind solche Attacken fast schon eine Selbstverständlichkeit.

Deshalb habe ich auch beim Symposium „Geist & Gegenwart“ in der idyllischen Südsteiermark erwartet, dass beim Reden über die „Vereinigten Staaten von Europa“ der Schauer des drohenden Untergangs der Alten Welt inkludiert sei. Die Babyboomer unter den Diskutanten konnten dieses für sie typische Wohlgefühl zum Teil auch erfüllen, aber mit Schrecken musste die saturierte Mitte feststellen, dass andere Generationen bei der Hysterie nicht mitmachen.

Werner Weidenfeld etwa, Direktor des „Centrums für angewandte Politikforschung“ an der Universität München, ein seit Jahrzehnten erfahrener Beobachter der europäischen Integration, schien sich in seinem Vortrag geradezu auf Unruhe zu freuen. Sie ist für ihn Teil der Erfolgsgeschichte. „Es gab in der EU nach jeder Krise einen großen Schritt nach vorn“, behauptete der deutsche Denker, dessen Blick gewöhnlich auf die Zukunft gerichtet ist. Sein Hobby: Er sieht sich gern Forschungszentren in aller Welt an, um darauf zu spekulieren, wo die nächste größere Innovation ausbrechen wird. Ein heißer Tipp für die EU, dem „Schlüsselstück der Machtarchitektur“: Sie soll sich ein wenig mehr um den arabischen Raum kümmern.

Enttäuschend für Apokalyptiker ist auch, dass selbst hohe geistliche Würdenträger das Krankjammern des Kontinents, der sich für sie ohnehin von Rom über Athen bis ins zentrale Jerusalem erstreckt, vermeiden. Kardinal Kurt Koch, der im Vatikan den „Rat zur Förderung der Einheit der Christen“ leitet, schlug im ökumenischen Geist vor, die Gräben zwischen Katholiken und Protestanten zuzuschütten. Die Reformation und die darauf folgenden Religionskriege hätten zu all der Säkularisierung geführt. Ergo müsste man diese Trennung überwinden, um das Problem an der Wurzel zu packen. Auch dieser Gedanke scheint dem Prinzip Fortschritt durch Überwindung der Krise zu entspringen.

Und selbst auf die junge Generation ist kein Verlass, wenn man tüchtig auf unser Europa schimpfen will, dessen Elite es nicht einmal schafft, den Teens und Twens ausreichend Jobs zu geben. Die Studenten beim Symposium auf Schloss Seggau, viele von ihnen aus dem lebhaften Südosten des Kontinents, sind international vernetzt, sie denken bereits transeuropäisch. Solchen Leuten ist durchaus zuzutrauen, dass sie die Probleme lösen werden, die unsereins im mittelmäßigen Mittelalter so lustvoll herbeiredet.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

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