Jelinek kämpft im digitalen Ozean gegen den Literaturbetrieb

Wie korrupt sind die Dichter, ihre Freunde, Verleger, Exegeten und Rezensenten? Eine Nobelpreisträgerin flüchtet vorm Nepotismus ins Netz.

Beim Surfen im Netz bin ich auf einen Begriff gestoßen, der mir inzwischen so fremd und fast exotisch erscheint, als ob er längst ausgestorben wäre. Wer kann heute in unserer Cyber-Community noch etwas mit dem altbackenen Kompositum „Literaturbetrieb“ anfangen? Das weckt zwar am Wortanfang die Fantasie vom Dichter im Elfenbeinturm, riecht aber am Ende nach Fabrik und Schweiß, nach dem Engagement für Geistesprodukte der Sechzigerjahre.

Ich stelle mir ein Großraumbüro vor, in dem fleißige Arbeiter des Denkens buchstabengetreu Lettern an Lettern fügen, bis daraus ein Wort, ein Satz oder sogar ein Klassiker entsteht, sagen wir zum Beispiel eine Brandrede Ciceros. Er war einer der Ersten, der in Rom von „litteratura“ sprach und damit sogar Politik machte. Als das kulturelle Erbe dieses philosophischen Juristen in der frühen Neuzeit fast wieder aus der Mode kam, meinte man mit „Literatur“ die „gschrifftgelerte Weiß vnd Kunst“. Praktisch war das Spielen mit Buchstaben damals beinah schon eine seriöse Wissenschaft.

„Betrieb“ hingegen ist eine modernere Neigung, dem Müßiggang zu entgehen. Einerseits wirken in ihm Personen und Mittel zum Erzeugen von Gütern oder Leistungen zusammen, andererseits ist auch der Zweckbau für solch kollektiven Trieb gemeint, in dem man sich mit Fleiß der Industrie hingibt. Da wird Dampf gemacht.

Wer einen kontemplativen Zugang zu Büchern hat, erahnt in diesem Wort ein Paradoxon. Was aber ist inzwischen, seit man im Zeitalter des Johannes Gensfleisch Gutenberg Pamphlete, Zeitungen oder gar dickere Bücher druckt, aus der Schreibwerkstatt geworden? Alles Verfall, wenn man das Interview einer bedeutenden Schriftstellerin unserer Tage im Internet liest. Der Literaturbetrieb sei extrem korrupt, gibt Elfriede Jelinek zu Protokoll, auf der kecken Website von „www.fiktion.cc“, zu deren Beirat sie gehört. Sie mag so eine „Freunderlwirtschaft“ nicht und ist – diese Konsequenz muss man ihr hoch anrechnen – längst ins Netz geflüchtet. Ihre Homepage birgt zugleich auch ihr Werk. Jelinek liebt die „Mischung aus Privatem und Öffentlichem“ im Netz.

Aber was macht der Rest? Besteht die Triebstätte der Eitelkeit tatsächlich nur aus verdorbenen Dichtern und Rezensenten, dichtenden Redakteuren, rezenten Autoren? Man möchte an dieser Stelle im Stillen ein „quo usque tandem abutere, litteratura, patientia nostra“ hinzufügen, aber die Nobelpreisträgerin kommt uns zuvor. Sie nennt diesen Handel mit geschriebenen Waren nicht nur korrupt, sondern sagt dazu auch „nepotistisch“.

Das ist, wenn man es genau nimmt, eine Vettern- und Basenwirtschaft. Und die war schon im alten Rom, wenngleich handelsüblich, ein wenig verpönt, selbst in der Lyrik. Frau Jelinek aber spricht: „Es ist ja immer lustig zu sehen, wer mit wem befreundet ist und wer wem einen Gefallen schuldig ist. Damit will ich jedenfalls nichts mehr zu tun haben.“ Basta!

Die Nachgeborenen aber der einst engagierten Literatur grämen sich nun wohl, surfen heimatlos durch den digitalen Ozean, auf der Suche nach virtuellen Buchmessen mit Avatar-Lektoren, die sie trösten. Sie dürfen sich ihnen dabei sogar nah verwandt fühlen.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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