Wer denkt im Shakespeare-Jahr an den armen Kit Marlowe?

1564 kam in Pisa Galilei auf die Welt. In Rom starb Michelangelo. Gefeiert wird nach 450 Jahren aber vor allem ein Bürger aus Stratford.

Nächste Woche ist es schon wieder April und damit höchste Zeit, einen echten Dichter von jenem Monat schwärmen zu lassen, der „Jugendhauch geweht in jedes Ding“. Im Original des 98. Sonetts von William Shakespeare lautet es treffender: „April, dress'd in all his trim, Hath put a spirit of youth in every thing“. Allerdings freute ihn das Frühjahr damals irgendwann vor mehr als 400 Jahren gar nicht so sehr, weil er getrennt war vom Objekt seiner Begierde: „From you have I been absent in the spring“, raunzt der Verfasser, und es wird ihm gar winterlich zumute.

Vielleicht hat Shakespeare damals beim Schreiben dieser Verse bereits geahnt, dass der April sein Schicksalsmonat war. Angeblich starb er am 23. April 1616, wahrscheinlich nach einem Gelage, wie es die Briten an den ersten schönen Sonnentagen schätzen. Der Saint George's Day ist den Engländern heilig. Angeblich wurde Shakespeare am 23. April 1564 geboren. Das könnte stimmen: Getauft hat man den kleinen Willi nämlich am 26. April in Stratford-upon-Avon. Zweimal also, beim ersten Auftritt und beim letzten Abgang, erwischte Herr Shakespeare einen Feiertag mitten im schönsten Frühling.

Demnächst lässt weltweit jedermann mit Verstand den regierenden Weltmeister der dramatischen Kunst zum 450. Geburtstag hochleben. Wahrscheinlich wird die Fangruppe im Gegengift sogar noch im frostigen Dezember und weit darüber hinaus trunken von den Feierlichkeiten sein und bis zur Erschöpfung allerlei Zitate von Helden, Schurken, Königinnen und Jungfrauen aus diesem Dichteruniversum von sich geben. Jetzt aber, Ende März, haben wir noch Gelegenheit, an jene aus diesem Geburtsjahr zu erinnern, die bald völlig von Shakespeare überstrahlt werden.

Wer weiß zum Beispiel noch, dass Christopher „Kit“ Marlowe im selben Jahr geboren wurde? Bereits am 26. Februar hatte der Dramatikerkollege seinen 450. Geburtstag, und unsere Panegyriker hier haben den Festtag glatt versäumt, so wie den von Galileo Galilei, der am 15. Februar 1564 in Pisa auf die Welt kam. Drei Tage später war der Bildhauer und Maler Michelangelo Buonarroti in Rom gestorben, der ebenfalls ausgezeichnete Sonette schrieb, die man gerade jetzt im Jubiläumsjahr wieder lesen sollte, am besten in der Übertragung von Rilke.

Wer aber erinnert sich an Henry Percy, den neunten Earl of Northumberland, der fast zugleich mit Shakespeare getauft wurde? In seiner Zeit erlangte er als „Graf Hexenmeister“ einige Berühmtheit. Schwerhörig war er zwar und stammelte, aber er hatte eine imposante Bibliothek, galt als Intellektueller, Forscher und Aufrührer, den James I. in den Tower sperrte. Marlowe hat ihn noch gut gekannt.

Auch den armen „Kit“ hat es so wie Shakespeare im Frühjahr erwischt. Mit 29 wurde er von einem Messerstecher umgebracht, allerdings im Mai, über den er in „The Passionate Shepherd to His Love“ so wunderbar geschrieben hat, dass jeder Dichter eifersüchtig werden könnte. Nach einer wilden Theorie hat Marlowe sogar überlebt und unter dem Pseudonym eines Kaufmanns aus Stratford fantastische Dramen geschrieben. Das 450. Jubiläum jedenfalls passt auch so.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2014)

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