Treffen sich eine Cis und ein Trans beim Gendern...

Grenzenloses Amerika: Dort gibt es bei Facebook 58 Arten, sich geschlechtlich zu deklarieren. Was aber geschieht jetzt mit den Pronomen?

Das transatlantische Facebook-Team war am schnellsten: In den USA dürfen Nutzer dieses sozialen Netzwerks neuerdings bei der Eigendefinition auf ihrem Account zwischen 58 Arten von Geschlechtern wählen, während in Europa noch immer nur männlich, weiblich oder gar nichts zur Wahl steht. Selbst Google+ sieht jetzt alt aus: male, female und other. Nur ein Prozent der Googler entschied sich bisher für anders.

Bei Facebook USA kann man hingegen alle erdenklichen Varianten von trans, cis, neutrois, androgyn et cetera anklicken. Es ist damit zu rechnen, dass bald die gesamte Gemeinde von rund 1,2 Milliarden KundInnen weltweit mit multiplem Gendern beschenkt wird. Nachdem jede Sprache auf ihre Art solch feine Phänomene differenziert, eröffnen sich demnächst hunderte, wenn nicht gar tausende Möglichkeiten, sein/ihr maßgeschneidertes Geschlecht zu finden. Von Agender über Cis Female und Trans Man bis Two Spirit reicht die Liste.

Das Gegengift, das trotz seiner zeitgemäßen Sächlichkeit (bis in die Goethe-Zeit hieß es die Gift) auch andere Gattungen mag, begrüßt die Aktion, die bei einem „Hackathon“ im Facebook-Hauptquartier im kalifornischen Menlo Park ausgeheckt wurde. Sie fördert die Toleranz, erfreut Transgender-Aktivisten und beschäftigt Linguisten: „Die Wirkung des erweiterten Internet-Genderns auf Subkulturen San Franciscos“ wäre doch eine schöne Doktorarbeit in Soziologie.

Viele der Wörter findet man noch nicht einmal in elektronischen Wörterbüchern. Ein weiterer Vorteil: Die Kenntnis von Latein und Griechisch wird aufgefrischt. Mit trans geht man/frau/es über etwas hinaus, also zum Beispiel vom eigenen körperlichen Geschlecht hinüber in die gefühlte Geschlechtlichkeit. Mit cis hingegen sind jene bezeichnet, die diesseits bleiben, deren Seelen ident zum Körper orientiert sind. Wer androgyn ist, befindet sich dazwischen, im Zwitterreich. Wenn dazu aber noch andere Grenzgänge oder Ambiguitäten in der Psyche/Identität/Seele dazukommen, kann der User zu neuesten Ausdrücken wie Gender Fluid,Intersex oder Non-binary flüchten.

Ist dieses variable Kategorisieren radikal genug? Nicht, wenn es nach Dennis Baron aus Illinois geht. Er schlägt in seinem Blog „The Web of Language“ vor, das Fluidum der Geschlechter auch bei Pronomen anzuwenden. Warum sollte ein/eine Genderqueer sich maskulinem he unterwerfen, oder ein/eine Transsexual Female dem von gewöhnlichen Frauen beanspruchten sie? Das Gegengift fordert: Neue Fürwörter müssen her! Denn warum sollen ich und du, wir, ihr und die Mehrzahlform sie so pauschal verwendet werden? Gebeugt ergibt das hunderte fantastische Neologismen.

Bereits 1792 plante der Grammatiker James Anderson die Erweiterung der Geschlechterkampfzone. Neben masculine, feminine und neuter schuf er ein Dutzend neuer Schemata wie „imperfect“, „matrimonial“, „masculinemixt“ oder „universally indefinite“.

Wie aber spricht man einen „masculine imperfect“ und zwei „soprana“ politisch korrekt an? Welches Pronomen verwendet man, wie beugt man es? Wer mit bayerischen Dialekten vertraut ist, weiß noch, wen man mit ez anspricht, wann man enk sagt. Was aber meinen Nordfriesen, wenn sie wat, unk, jat, junk, we, üs oder jam sagen? Der Dual wird immer seltener verwendet! Die Sprachökonomie hat sich gegen formelle Höflichkeit durchgesetzt. Vielleicht kommt jetzt aber durch Facebook eine Wende. Kritiker des Netzes könnten recht behalten: Die virtuelle soziale Welt ist komplex und undurchschaubar. Das Binnen-I war nur ein leichtes Vorspiel.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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