Süleymans Enkel: Oma aus Polen, Mama und Frau aus Venedig

Der türkische Premier erinnerte in Wien an den Ruhm des Osmanenreichs. Wer aber waren die Nachkommen des von ihm verehrten Sultans?

Von meiner Großmutter selig, die nah am Zusammenfluss von Lafnitz und Raab geboren wurde, als ihr Dorf noch bei Ungarn war, haben die Kinder das Wiegenlied „Heidschi Bumbeidschi“ gelernt. Der Text ist gefährlich. Es geht um uralte Angst, um das Kidnapping christlicher Buben durch marodierende Türken, die solche Opfer zu Janitscharen machten. Später kehrten sie oft als Gotteskrieger zurück, um den Ruhm des Osmanischen Reiches zu mehren.

Ungarisch „Törökök“ (Türken) war zu Großelterns Zeiten in schaurigen Liedern zu hören. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass dabei selbst noch die Enkel an 1664 denken. Damals hat vor Szentgotthárd eine europäische Allianz das Heer des Großwesirs Köprülü Fâzıl Ahmed Pascha vernichtet. Doch es würde mir nicht einmal nach wilden Wiegenliedern im Traum einfallen, mich als Nachfahre des siegreichen Grafen Montecuccoli zu sehen.

Recep Tayyip Erdoğan aber denkt gern an vorgestern. Der türkische Regierungschef will Staatspräsident werden, deshalb hat er seine Kampagne nach Mitteleuropa ausgedehnt. In Wien erklärte er seinen begeisterten Fans, dass sie in ganz Europa die Enkel Süleymans des Prächtigen seien.

Das ist eine starke Akzentverschiebung. Noch vor einer Generation hätten seine republikanisch gesinnten Landsleute gesagt, dass sie die Erben Atatürks seien, des Vaters der Türkei. Erdoğan hingegen bezieht sich auf eine viel ältere Verwandtschaft, die man durchaus auch als ruhmreich ansehen kann. Süleyman, der 1520 mit 26 an die Macht kam, war ein Zeitgenosse Karls V., Franz' I. und Heinrichs VIII. Sein Glanz überstrahlte sogar den des Kaisers, der Könige Frankreichs und Englands. Der zehnte osmanische Sultan setzte zu Beginn des zehnten Jahrhunderts der Hedschra auf Expansion, ganz im Sinn des Propheten Mohammed. Und die 10 ist für Moslems eine besondere Zahl.

Süleyman herrschte 46 Jahre lang, erweiterte das Reich in Ost und West und bis Marokko. 1521 fiel Belgrad. 1526 wurde die Schlacht bei Mohács zum Schicksal der Magyaren und zum dynastischen Vorteil Habsburgs.1529 standen die Osmanen vor den Toren Wiens. Sie zogen bald ab. Gebietsgewinne im Osten waren ihnen wichtiger als der Kleinkrieg am Rand des Balkans. Ungarn wurde geteilt, die Pforte kassierte Tribut. Aus Sicht der Türken ist es also nicht zwingend, von einer Niederlage zu sprechen, nicht im Vergleich zu 1664 oder gar 1683.

Gestorben ist der Sultan während eines Feldzugs just in Ungarn, 1566, an einem Schlaganfall, heißt es. Wer folgte ihm nach? Wenden wir uns der Familiengeschichte zu. Süleyman liebte eine Sklavin, sie hieß Anastasia (oder Aleksandra) Lisowska, er nannte sie Roxelane und machte sie zur Lieblingsfrau. Sie war Polin oder Ukrainerin, die Venezianer nannten sie die Russin, in Istanbul hieß sie die Hexe. Roxelane war geschickt und wurde die Beraterin ihres Mannes. Ganz gegen den Brauch durfte sie mit mehreren Söhnen im Serail bleiben. Dem dritten verhalf sie 1566 zur Macht. Selim II. aber war Alkoholiker. Bei einem seiner vielen Feste starb er 1574 im Vollrausch nach einem Sturz.

Die Zeit für Süleymans Enkel war gekommen. Murad III. ließ sogleich fünf Brüder erdrosseln. Danach interessierte er sich kaum noch für Politik, lieber dichtete er oder rauchte Opium. Seine Lieblingsfrau Safiye war wie seine Mutter Nurbanu eine venezianische Adelige, die als Kind entführt worden war. Aber Heidschi Bumbeidschi! Diese Sofia mochte die Macht und Janitscharen. Sogar bis ins tiefste Burgenland drang die Kunde, dass weit hinten in der Türkei endgültig die Weiberwirtschaft ausgebrochen war.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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