Was gilt der Politiker vor einem mächtigen Sektionschef?

Unser Kulturminister will aus dem Bundestheater-Skandal Konsequenzen ziehen. Vielleicht wackeln sogar manche Logenplätze.

Zu den schönen Aufgaben der Sektion des Gegengiftes, die bei uns Frühschicht hat, gehört es, das „Morgenjournal“ auf Ö1 zu hören. Zugegeben, manche Meldungen der ewigen Wiederkehr des Weltgeschehens bekomme ich nur im Halbschlaf mit, aber an diesem Freitag nach sieben war ich plötzlich hellwach: Unser Kulturminister verkündete, dass er den vernichtenden Rechnungshofbericht zur Bundestheater-Holding (mit all den Malversationen hinter unseren schönsten Bühnen) auf Strafrechtliches prüfen lasse.

Ein Minister, der Konsequenzen zieht, der einen Rechnungshofbericht liest und ernst nimmt, das schien mir äußerst unorthodox. Ich malte mir aus, dass Ostermayer dem zurückgetretenen Holding-Chef Georg Springer den einen oder anderen Logenplatz in Burg und Oper oder anderswo verwehrt, dass er den fristlos entlassenen Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann noch bis tief in die nächste Saison dramatisch zappeln lässt, ehe es zu einem zivilen Vergleich vor Gericht kommt. Was für ein willensstarker Politiker, dachte ich mir spontan. Der ist imstande und fordert jene, welche die Kultur beschädigen, zum Duell.

Dann aber fragte die Kollegin von Ö1in dem Interview nach der Verantwortung des Sektionschefs Michael Franz, der seit geraumer Zeit für diese Belange zuständig ist. Da zeigten sich in einem Halbsatz die Grenzen der Macht unserer Politiker: Eine Entlassung dieses Beamten sei aufgrund des Dienstverhältnisses nicht möglich, deutete der Minister an.

Ostermayer, der sich im Dienstrecht wirklich gut auszukennen scheint, hat naturgemäß völlig Recht. Minister kommen und gehen, aber Staatsdiener wie der Herr Franz bleiben immerwährend, sogar nach radikalen Veränderungen des politischen Systems. Ich bin mir sicher, dass unser hochgebildeter Kulturminister die Romane des Heimito von Doderer genau studiert hat, die von exotischen Titelträgern wimmeln. Wahrscheinlich kennt er auch die gesamte Beamtenschaft in Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Vor der haben schon Erzherzöge gezittert.

Auch in der Zweiten Republik ist die Macht der Spitzenbeamten ungebrochen. Ja, ich behaupte sogar, dass diese elitäre Berufsgruppe als einzige etwas vom Glanz des alten Kaiserreiches gerettet hat, nicht immer aber den Respekt vor ihrem Vorgesetzten. So soll es heute (was unter Raab oder Kreisky undenkbar war) vermehrt Sektionschefs geben, die ihre Chefs intern als „unser Lehrbub“ bezeichnen. Wehe, solch ein Minster oder eine Ministerin paart seine/ihre grandiose Inkompetenz mit der Arroganz des in den Eingeweiden der Partei gewachsenen Emporkömmlings! Ohne politische Impulse geht nämlich gar nichts auf den verschlungenen Amtswegen. Der Dichter Franz Grillparzer, der es in 43 Dienstjahren immerhin zum Direktor des Archivs der Hofkammer brachte, beschrieb eine derartige Pattsituation in seinem Tagebuch folgendermaßen: „12 Uhr Mittag ins Bureau. Keine Arbeit vorgefunden.“

Das Dienstverhältnis zwischen Sektionschef und Minister ist häufig prekär. Oft lenkt der Beamte die Politik allein schon durch die Art, wie er seinem Chef einen Akt vorlegt, ob er sich räuspert oder gar die Augenbraue hebt. Erfahrene politische Beobachter schauen deshalb, während der Minister spricht, nicht auf diesen, sondern auf seine besten Kräfte. Die haben sich zwar meist diplomatisch in der Gewalt, aber bei so mancher frechen Lüge oder bloßem Stumpfsinn kräuseln sich sogar die Lippen beherrschter Sektionschefs zu versteckter Ironie. Leider sieht man das im Radio nicht.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.