Gerechtigkeit für Jean-Claude Juncker und Claus Weselsky!

Neidgenossen hetzen gegen den begabten EU-Kommissionspräsidenten und den fürsorglichen obersten Lokführer Deutschlands.

Im humanistischen Zweig des „Gegengiftes“ gibt es eine kleine Abteilung, die für Menschenrechte eintritt. Sie musste diese Woche gleich zwei Mal aufschreien. Wir finden nämlich, und dazu genügt ein kurzer Blick in angeblich soziale Medien, dass derzeit zwei hervorragende Europäer ungerecht behandelt werden. Schäbig.

Neider in der Europäischen Union werfen dem frischen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vor, dass er Luxemburg als Finanzminister und Ministerpräsident zur Steueroase für Weltkonzerne gemacht habe. In Deutschland wiederum geifern Pendler über den großen Lokführer Claus Weselsky, weil auch er für eine gewisse Klientel großzügig denkt. Sowohl dem Luxemburger als auch dem Deutschen gilt ganz offen meine Bewunderung. Sie haben erkannt, dass gewöhnliche Arbeit noch immer sträflich überschätzt wird. Durch sie kann man nicht reich werden. Also gehört sie so wie die Steuern eingeschränkt.

Besonders imponiert mir das Modell Juncker, das leider noch nicht für Manufakturen wie die unsere, sondern bisher nur für Firmen wie Amazon, Ikea, PepsiCo oder die Deutsche Bank gilt. Aber im Prinzip haben die Paten des Großherzogtums recht: Ein Prozent Steuer ist genug. Alles, was darüber hinausgeht, verleitet Regierungen doch nur zur Verschwendung.

Hoch Juncker! Wie erbärmlich wirkt im Vergleich Österreichs rot-schwarze Regierungsspitze, die uns verspricht, dass irgendwann einmal, nachdem wir die Schulden systemrelevanter Pleiten getilgt haben, die Senkung des Spitzensatzes der Lohnsteuer von 50 auf 49 Prozent zu erhoffen sei. Bisher signalisiert jeder ausgabenfreudige Minister, Landeshauptmann oder Bürgermeister: „Die Arbeit hoch, so hoch, dass man nicht rankann!“ Da ist mir jeder ehrliche Oasenbanker lieber, der das Geld statt der Menschen für sich arbeiten lässt.

Weselsky, der Boss der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), scheint auf den ersten Blick ein Antagonist zu Juncker zu sein. Doch das täuscht. Auch seine Einstellung zur Arbeit ist ganz modern. Dieser Sachse wurde noch bei der Deutschen Reichsbahn in Dresden angelernt. Da er nicht Mitglied der SED war, durfte er anfangs nur ein bisschen im Verschub fahren. Bald nach der Wende tauschte er den Führerstand in der Lok gegen ein Büro in der GDL. Inzwischen wurde er sogar Mitglied der CDU. Seine Leidenschaft ist nicht das Fahren, sondern das Reversieren, sein Vorbild Martin Luther – logisch, bei dessen legendärem Satz „Hier stehe ich und kann nicht anders“.

Auch Weselsky imponiert mir. Er arbeitet wie Juncker hart daran, das protestantische Ethos des Fleißes zu reformieren. Weniger Arbeit muss auf dem Konto mehr sein, also fordert er fünf Prozent mehr Gehalt. Zugleich soll die Arbeitszeit derart gekürzt werden, dass die Lohnerhöhung umgerechnet 15Prozent betragen würde. Damit sie aber real bleibt, benötigt man Steuerschoner wie Juncker, keine Eintreiber wie hierzulande.

Die Gleichbehandlungskommission des „Gegengiftes“ schlägt also vor: Nicht nur die Zugbegleiter treten in die Gewerkschaft Deutscher Lokführer ein, wie die GDL fordert – sondern alle Arbeiter und Angestellten der EU. Die zuständige Steuerbehörde ist ab sofort exklusiv in Luxemburg. Unsere alte Arbeit wird nach China ausgelagert.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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