Der bitterböse Thomas Bernhard im Kopf des sanften Peter Turrini

Es ist keine Schande, sich in der Literatur wiederzuerkennen.

In der engagierten alten Zeit, als es noch keinen Shitstorm gab, der Personen im Netz öffentlich beschmutzt, reichten zuweilen bloße Anspielungen im Gedruckten, um bei manchen Lesern heftige Gemütsbewegungen auszulösen, weil sie sich in einer fiktiven Person erkannt hatten. Legendär ist ein längst vergessenes Stück, in dem ein Nationalratsabgeordneter eine jugoslawische Putzfrau sexuell bedrängt. Angeblich sollen danach drei Mandatare aus drei Fraktionen den Autor geklagt haben. Aber auch das könnte natürlich erfunden gewesen sein.

Thomas Bernhard war ein alter Meister dieser Perfidie. Selbst sanfteste, real existierende Mitglieder des Poesiezirkels im „Gegengift“ können sich noch heute darüber ereifern, dass sie sich bei genauerer Lektüre überraschend in Dramen des Toten oder gar in seiner Prosa verunstaltet fühlen. Bei ihm wimmelt es von Stumpfsinn, Journalisten und anderen Trotteln. Es hat gar keinen Sinn zu klagen. Alle werden wir vorgeführt. Und jetzt ist er dahin. Wie grässlich und gemein!


Mit Vorfreude habe ich also die Aufführung von Peter Turrinis autobiografisch gefärbtem Stück im Burgtheater erwartet, weil die Fama sagt, dass dort Bernhard verunglimpft wird. Tatsächlich: Ein Pickelgesicht tritt auf, windet sich, als ob es demnächst seine Lunge auskotzte. Ha! Das ist er. Wir lassen uns nicht davon täuschen, dass die Figur Vinzenz (der Siegende), dass der Schauspieler Sven (der Bub) heißt. Nein, so viel Kälte und Frost hat nur einer. Aber ach, ich habe nicht mit Turrini gerechnet. Bald entwickelt sich in meiner Seele so etwas wie Mitleid mit dieser geplagten Salzburger Kreatur. Sie wird seiner Liebe nicht entgehen. Nun weiß ich einen guten Rat für Leute, die so eitel sind, dass sie sich bei Dichtern wiedererkennen wollen. Es ist keine Schande, von Genies gezeichnet zu werden. Wollen Sie aber positive Resonanz, dann lesen Sie Turrinis Texte. Er mag Menschen. Bei Bernhard tauchen sie als Karikatur auf. Oder Sie lesen einfach bei Shakespeare nach. Dort dürfen Sie auch jederzeit der Löwe sein.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2014)

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